Bildungsreise nach Bombay

In Bombay werden viele Globalisierungskritiker die Welt von einer anderen Seite kennen lernen. Was sie erwartet, können sich vorher die wenigsten vorstellen

Umstritten ist, ob Auslandsinvestitionen in Entwicklungsländern auch gute Seiten haben

BOMBAY taz ■ Die Reise zum Weltsozialforum nach Bombay ist für die meisten GlobalisierungskritikerInnen eine Reise ins Unbekannte. „Wir wissen nicht, welchen Charakter die Veranstaltung haben wird“, heißt es etwa bei der Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD. Philipp Hersel von Attac kommt sich „unbeleckt“ vor: „Ich bin gespannt, wie Indien das Bild prägt.“

Rund 240 Personen aus Deutschland fliegen nach Bombay. Dazu gehören Abordnungen von Attac, den rot-grünen Thinktanks der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und der Heinrich-Böll-Stiftung, einige Bundestagsabgeordnete der SPD, die Staatsministerin im Außenministerium, Kerstin Müller, sowie mehrere Vertreter von Umweltorganisationen und Gewerkschaften.

Obwohl die Annäherung an Indien nicht leicht fällt, ist sie doch im Gange. Jochen Steinhilber von der Ebert-Stiftung (FES) vermutet, dass die thematischen Akzente in Bombay anders gesetzt werden als auf den bisherigen drei Weltgipfeln im relativen beschaulichen brasilianischen Porto Alegre. Habe dort die Gegenwehr gegen die US-dominierte Freihandelszone FTAA im Vordergrund gestanden, spiele in Indien der Schutz einheimischer Landwirtschaft vor dem Einfluss ausländischer Konzerne und der Privatisierung des Zugangs zu Saatgut eine große Rolle.

Bei der FES rechnet man außerdem mit einer starken Fokussierung auf die Situation der Frauen. Gerade hat die Wissenschaftlerin Brigitte Young in einer Studie für die FES die Auswirkungen der Globalisierung auf Frauen untersucht. Zum einen verdienen Frauen etwa in den Nähereien von Bangladesch zum ersten Mal eigenen Lohn und werden damit unabhängiger. Zum anderen aber kann die Globalisierung ihre Lage auch drastisch verschärfen. Weil größtenteils sie dafür zuständig sind, Wasser für den Haushalt zu beschaffen, kann die Privatisierung der Wasserversorgung und damit verbundenen Preissteigerung ihre häusliche Ökonomie durcheinanderbringen. Zu diesem Thema passen die Aktivitäten der Heinrich-Böll-Stiftung. Ihre Vertreterinnen wollen erkunden, welche Auswirkungen die Privatisierung der Wasserversorgung haben kann.

Zu neuartigen Kontroversen könnte es in Bombay kommen, wenn über die Einflüsse ausländischen Kapitals in Entwicklungsländern verhandelt wird. „Man kann Auslandsinvestitionen in eine positive Richtung lenken“, sagt Philipp Hersel, wenngleich er seine „grundsätzliche Skepsis“ zu Protokoll gibt. Derartige Töne werden in Indien eine starke Resonanz finden, weil die dortige NGO-Bewegung vielschichtig und nicht so sehr von traditionell antikapitalistisch eingestellten Großorganisationen dominiert ist. Der indische Globalisierungskritiker Pravin Laté, im Privatberuf Chef einer Agentur für Personalentwicklung, räumt ein, dass beispielsweise die britische Mobilfunkfirma Orange in Bombay durchaus neue qualifizierte Arbeitsplätze geschaffen habe. Wer durch die Finanzmetropole fährt, sieht allerorten Niederlassungen westlicher Konzerne, die einheimischen Fachkräften, nicht zuletzt Frauen, Gehälter zahlen, die sie in indischen Firmen kaum erhalten würden.

So dürfte es sich die für globalisierungskritische Bewegung als großer Vorteil erweisen, dass die indischen Organisatoren des Sozialforums vor einem Jahr hart geblieben sind. „Raus aus der Enklave Brasilien“, hieß ihr Motto. Jetzt haben die westlichen Globalisierungskritiker in Bombay die Chance, dazu zu lernen.

HANNES KOCH