american pie
: Baseballer David Wells hat ein Buch geschrieben

Plaudereien eines Unperfekten

Die Umkleidekabine eines amerikanischen Profi-Teams darf man sich nicht als schweißgeschwängerte Angelegenheit mit Schulturnhallencharme vorstellen. Eher schon sind es hochgerüstete Multimedia-Zentren mit Kleiderhaken, in denen sich die Einkommensmillionäre auf ihren nächsten Auftritt vorbereiten. Bei den New York Yankees allerdings, momentan im Trainingslager in Florida, fanden Stereo-Anlagen, Playstations, DVD-Player und TV-Geräte in den letzten Tagen wenig Interesse. Stattdessen wurde ein altgedientes Medium wiederbelebt: Die Baseball-Profis lasen ein Buch.

Natürlich nicht irgendein Buch, sondern Vorabexemplare der erst am 14. März erscheinenden Autobiografie von David Wells. In „Perfect I’m Not!“, so die Verlagswerbung, enthülle der ebenso erfolgreiche wie beliebte Pitcher der Yankees Dopingmissbrauch und Sexeskapaden im Baseball, plaudere Wahrheiten über Kollegen aus und lege eigene Trinkgewohnheiten offen. So behauptet das notorische Enfant terrible, die Nacht vor seinem „Perfect Game“ durchgesoffen zu haben und völlig verkatert auf den Wurfhügel gestiegen zu sein. Da ein „Perfect Game“, die seltenste statistische Ausnahmeleistung im US-Sport, bislang nur von einer Handvoll Pitcher erreicht wurde, kommt diese Anekdote der Entehrung des Heiligen Grals gleich.

Wells spricht zudem ein offenes Geheimnis aus und bestätigt, dass sich 25 bis 40 Prozent der Baseball-Profis mit Anabolika dopen. Auch wenn diese Zahlen wahrscheinlich sogar untertrieben sind, bricht er doch als erster noch aktiver Spieler ein ungeschriebenes Schweigegelübde. „Mir wurde beigebracht, dass es in diesem Sport ungeschriebene Gesetze gibt“, kommentierte Jason Giambi, „wenn er davon schreibt, was er getan und gelassen hat, ist das eine Sache. Problematisch wird es, wenn er eine ganz Gruppe als Doper kategorisiert.“ Auch Bud Selig, Chef von der Major League Baseball (MLB), befürchtet Imageschaden für seine Liga und denkt über eine Sperre für Wells nach.

Prompt wurde Wells von den Klubverantwortlichen vorgeladen und rudert bereits zurück: Die endgültige Version des zusammen mit einem Co-Autor verfassten Buches sei noch einmal redigiert und entschärft worden. Nach dem Gespräch schwante Joe Torre, dem Cheftrainer der Yankees, dass ihn das Thema Wells wohl noch „eine ganze Weile begleiten“ wird. Hinter den Kulissen, so wird gemunkelt, tobt vor allem Brian Cashman, der General Manager der Yankees. Er befürchtet nach den Enthüllungen des Publikumslieblings schlechte Stimmung im hochbezahlten Starensemble. Vor allem seine Werfer-Kollegen Mike Mussina und Roger Clemens sollen prominente Rollen in Wells’ Buch spielen. Clemens, als ziemlich verbissen gefürchtet, ließ bereits verlauten: „David ist ein Spaßvogel, oder?“ Auch Mussina wurde in der Umkleide bei der Lektüre von „Perfect I’m Not!“ gesichtet. Er allerdings, so wird berichtet, habe sich gut amüsiert, vor allem über ein Foto von Wells’ Hochzeitsreise in Neuseeland: Es zeigt den zu Übergewicht neigenden Bräutigam nackt inmitten einer Herde Schafe – allerdings nur von hinten. „Damit wird er einen Haufen Bücher verkaufen“, schmunzelte Mussina.

Cashman will das Buch nun erst einmal lesen, bevor er sich zu Strafmaßnahmen entschließt. Sanktionen sind aber wohl kaum zu erwarten. So oder so: Vorerst ist weiter garantiert, dass die Spekulationen um die literarischen Ambitionen von Wells anderen Sport aus den Schlagzeilen verdrängen. Die eigentliche Saisonvorbereitung interessiert kaum noch. Oliver Kahn hat sein Discomädchen, David Wells hat sein Buch, die Presse hat was zu schreiben. Und alle sind glücklich.

THOMAS WINKLER