Trotz Reizen auch Unbehagen

Stadlober, Tarantino, Finckh und Schulz machten die Premiere von Romeo und Julia im Schauspielhaus zu einer glanzvollen

von CAROLINE MANSFELD

Vor dem Theater fing das Theater schon an. Eine Reihe Studentenaktivisten hatte das Foyer des Schauspielhauses besetzt, forderte freie Texte für alle und rief die Premierenbesucher zur Solidarität auf. Die namen es gelassen. Schließlich waren sie gekommen, um den berühmtesten Bühnentod der Theatergeschichte zu sehen. Nils Daniel Finckh, zuletzt mit seiner prominent besetzten Fassung des Kultfilms „Trainspotting“ enorm erfolgreich im Malersaal, wagte den Sprung auf die große Bühne und zum Klassiker: Shakespeares „Romeo und Julia“ feierte glanzvolle Premiere im Schauspielhaus. Und auch diesmal tummelte sich viel jugendliches Volk auf den Rängen. Denn kein Geringerer als der süße „Sonnenallee-Wuschel“, Kinoliebling Robert Stadlober mühte sich dort oben auf der Bühne als Romeo ab, das Herz seiner Julia, Ensembleneuzugang Jana Schulz, wider alle Ränke der Elterngeneration doch noch zu gewinnen.

Doch kalt und ignorant ist die Welt, die die Liebenden umgibt. Die graue Kulisse aus kalten Stahlträgern von Dirk Thiele könnte auch als Industrieruine im Ruhrgebiet durchgehen. Romeo, ein schmaler Bursche, der mit Parka und modisch zerzauster Frisur gut in ein Schanzencafé passen würde, klagt Freund Mercutio, Tilbert Strahl-Schäfer, sein Leid. Die Szene scheint alltäglich verrottet, doch die Gefühle sind überirdisch. Er ist verliebt in die „schönste Frau“, die ihrer nicht statthaften Liebe abgeschworen hat. „Liebe ist Hass, Hass ist Liebe“, ereifert er sich. Denn er ist nun mal ein Montague und seine Angebetete eine Capulet und die Familien mögen sich nicht.

Trotz scheinbarem Pop-Appeal versteigt sich Finckh von Anfang an nicht in tumbes Getöse. Die erste Begegnung der Liebenden in dieser Hölle ist von anrührender Zartheit. Die Geschlechterrollen müssen sich noch finden. Die androgyn-moderne Julia, unglaublich präsent und kraftvoll in ihrer Zerrissenheit gespielt von Jana Schulz, ist diesem Jungen auch darstellerisch haushoch überlegen. Sie wächst immer weiter über sich hinaus, wenn sie sich gegen ihre Eltern, die mondän-zickige Mutter, Julia Malik, und ihren gefühlskalten Vater, Thomas Kügel, auflehnt. Der will sie ausgerechnet mit dem brav gescheitelten Pollunderträger, Graf Paris, Guido Lambrecht verheiraten.

Doch längst hat sich Julia heimlich Romeo versprochen, als das Unglück geschieht. Wie zwei Banden treffen die Mercutiogang und die Tybaltgang aufeinander, die Anführer tanzen ein grausiges, überlanges Samurai-Ballett mit Stahlrohren, das Quentin Tarantino nicht eleganter hätte inszenieren können. Mercutio stirbt, worauf Hitzkopf Romeo Julias Vetter Tybalt ersticht und fliehen muss. Es spritzt ohnehin eine Menge Blut in dieser dunklen, weggespülten Welt, wo außer Tunneln ins Nichts und stinkigen Kloaken nichts wächst. Hier hängt alles an den Darstellern.

Mit Hilfe ihrer tapferen Amme, Christiane von Poelnitz, und des Paters Lorenzo, Jörg Ratjen, inszeniert Julia ihren eigenen Tod, entgeht der Eheschließung mit Paris und erwacht doch zu spät. Im filmreifen Lichtermeer ihrer eigenen Gruft findet sie den Geliebten tot. „Küss mich, Romeo“, sagt sie, gereift, ohne jede Hysterie und stirbt in hingegossener Gelassenheit.

Autorin Gesine Danckwart ist sicherlich eine, deren Sprachgefühl am ehesten ausreicht, um diesen Brocken in eine Gegenwartsprosa zu übertragen. Wenn sie Mercutio sagen lässt: „Zum Abschießen, Abkotzen, Wegschmieren diese affektierten, auf edel gemachten Edelschwestern. Diese aufgebrezelten, arschglatten Fressen“, zeugt das von Können und Erfindungsgabe. Und doch ist ein Shakespeare nicht einfach zu verfremden, ohne dass seine Inhalte denunziert werden. Besser hätte sie ein eigenes Stück über die unverstandene Jugend schreiben sollen. So bleibt trotz gelungenen Spiels und reizvoller Bilder ein Unbehagen. Der Wille zum alten Inhalt in neuer Form ist erkennbar und geht doch nicht auf.

Romeo und Julia, nächste Vorstellungen 22., 23., 27, 28. Januar, 20 Uhr, Schauspielhaus