„Oskar ist eine Erscheinung“

Monika Hohn …

„Für den Oskar tu ich alles. Der ist für mich wie eine richtige Person. Der gibt mir doch zurück, was ich ihm gebe. Und wenn er krank wäre, ich würde den pflegen“

… hat sich vor zweieinhalb Jahren ein Hängebauchschwein gekauft. Oskar heißt es. Der kastrierte Eber lebt mit der 37 Jahre alten Verkäuferin, ihrem Mann, einem 50-jährigen Kraftfahrer, und zwei Wellensittichen in der Dreieinhalbzimmerwohnung im Wedding. Dass das Paar mitten in Berlin damit eine uralte Haustiertradition wiederbelebt, wird von deren Nachbarschaft nicht nachhaltig gewürdigt. Mit einem Schwein wird Unordnung und Gestank assoziiiert. Dass Schweine reinlicher und intelligenter sind als ihr Ruf, scheint den Weddingern nur schwer zu vermitteln. Aus Anlass der Grünen Woche spricht die taz mit Monika Hohn über das ganz alltägliche Leben mit Oskar

INTERVIEW WALTRAUD SCHWAB

taz: Frau Hohn, ein Schwein lebt bei Ihnen im Haushalt mit. Hat es Ihnen Glück gebracht?

Monika Hohn: Ich sag mal, es ist ne Bereicherung. Ja, ne Bereicherung. Was, wat uns ergänzt. Auch die Verantwortung ist wichtig. Weil wir mit Oskar ne Verantwortung haben. Oskar, der ist für mich wie eine richtige Person. Kinder kamen ja nicht.

Ist Oskar dafür wirklich Ersatz?

Er ist wat Lebendijes eben. Wenn er kommt und mich begrüßt, da geht mir das Herz auf.

Kein Glücksschwein, aber Schweineglück?

Kann man so sagen.

Wenn der Haussegen trotzdem mal schief hängt, wie reagiert das Tier darauf?

Der hält sich raus.

Stimmungen kriegt er nicht mit?

Oh doch. Aber vor allem kriegt er seine eigenen Stimmungen mit. Ein Schwein, das ist sturer wie ein Esel. Wenn der nicht will, dann kriegen Sie den zu gar nichts. Und wenn er was will, lässt er nicht locker. Ich meine, Oskar, der ist doch eine Erscheinung. Wie wollen Sie mal eben 60 Kilo zur Seite schieben, wenn er zwischen Ihnen und dem Haussegen steht.

Schweine sollen sehr anhänglich sein. Wie ist das, wenn sich so ein 120-Pfünder an einen schmiegt?

Schwer. Am Anfang, als er noch klein war, da durfte er immer auf mir liegen. Der hat mich als Mutterersatz akzeptiert. War ja janz leicht, der Kleene. Später war er nicht mehr so leicht, aber ich hab ihn trotzdem auf mir drauf gehabt. Der ist für mich eine eigene Person. Aber dann ging es nicht mehr, weil er mich fast erdrückt hat. Wissen Sie, der Oskar, der sucht die Nähe. Als wir noch das alte Sofa hatten, sind wir beede manchmal druff jelegen. Aber der Oskar hatte den meisten Platz. „Wie hältst es denn aus“, wollte mein Mann wissen. „Frag nich“, hab ich jesagt.

Haben Sie damit gerechnet, dass er so ein kompakter Brummer wird, als Sie sich vor zweieinhalb Jahren das Schwein geholt haben?

Ich hab ja seine Eltern beim Züchter gesehen. Da waren die natürlich im Freien und nicht gar so groß. Der Oskar ist eben viel drinnen, und wenn er kommt und sich sein Leckerli abholt, da müssen Sie mir erst mal erklären, wie Sie nein sagen wollen, wenn er sie anschaut. Und nu ist er ja ooch noch kastriert. Da setzen die eben an. Aber sagen Sie mir, welches Schwein nicht fett ist.

Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, sich ein Hängebauchschwein als Haustier zu halten?

Wie gesagt, Kinder sind nicht, und dann hat mein Mann eine Katzen- und Hundeallergie. Im Fernsehen ham se jezeigt, dass man auch Schweine als Haustiere halten kann. Da hab ich meinen Mann gefragt, wie es denn mit so wat wäre. Das kam dem zuerst spanisch vor, aber dann war er doch offen für wat Neuet. Ick bin doch mit Tieren groß geworden.

Auf einem Bauernhof?

Nein, in Reinickendorf.

Heute sind Sie und Oskar geradezu eine Attraktion hier im Weddinger Kiez. Jeder kennt Sie. Wie haben die Leute am Anfang reagiert?

Die kieken. „Ist das n Schwein?“, fragen sie. Ick sach: „Nee, ne Minijiraffe, sehen Se doch.“ Ich kann das nicht mehr hören. „Ist das n Schwein? Ist das n Schwein? Beißt das?“ Vor allem die Ausländer – „Iiii, n Schwein“, sagen die.

Warum meinen Sie gerade die Ausländer?

Ich musste mir am Anfang einiges anhören. Einer hat aus dem dritten Stock gebrüllt, ich würd die Anlage versauen, bloß weil Oskar unter ner Eiche nach Eicheln gewühlt hat. Selber hat der einen Hund oder stellt seinen Müll im Hof ab oder dreht das Radio bis zum Anschlag. Oskar, der hat ja so einen Geruchssinn und Eicheln, die liebt er. Schweine, das sind sehr saubere Tiere. Oder riechen Sie in der Wohnung etwa was?

Nein, es riecht überhaupt nicht.

Sehen Sie.

Als Sie vorher Gassi waren, sangen ein paar HipHoper „Nimm das Tier und gib es mir, im Topf bringts uns mehr Elixier?“ Sind solche Sprüche Ihr täglich Brot?

Heute ist das kein Thema mehr. Oskar und ich gehen meistens zusammen mit meiner Mutter und ihrem Maxe, dem Hund, raus. Wenn ich aber doch mal alleine bin, dann fragen die Leute gleich, „na, wo ist denn die andere Hälfte?“ Der Max und der Oskar, die kennen sich von klein an. Was Sprüche betrifft, Sie haben ja gehört, was meine Mutter zu den Türken gesagt hat; „Passt bloß uff, dass ihr nicht im Topf landet.“

Trotzdem: sich mal so eben im Wedding unkonventionell geben und statt mit Hund mit Schwein spazieren gehen, braucht es dazu keinen Mut?

Als wir den Kleenen damals holten vom Züchter, haben wir uns gefragt: „Sind wir eigentlich doof?“ Aber das ist lange her. Heute ist Mut kein Thema mehr. Wir hatten ihn eben und raus mit ihm mussten wir doch. Der geht ja nicht mehr aufs Blech. Der geht Gassi. Das hat er sich so angewöhnt. Der hält es bis zu 24 Stunden aus, wenn es sein muss, noch länger. Eine Schweinsblase hat der im wahrsten Sinne des Wortes. Aber das geht doch nicht, der macht sich die Nieren kaputt. Was glauben Sie, manchmal was das für n Akt ist, bis der draußen ist, wenn ihm das Wetter nicht passt. Stur wie Oskar ist der.

Wer Oskar sieht, würde nicht unbedingt auf die Idee kommen, dass er auf seinen dünnen Beinchen nicht nur behäbig ist, sondern Sie umgekehrt auch schützen will?

Aber so ist es. Wenn jemand an der Tür ist und reinwill gegen meinen Willen, dann stellt der sich quer.

Oskar nimmt ziemlich viel Raum in Ihrem Leben ein. Er hat ein kleines Zimmer für sich, Sie organisieren Ihren Alltag rund um ihn. Wie ist das, wenn sich alles ums Schwein dreht?

Allet, wat ick dem jebe, det jibt er mir ooch zurück. Wenn Frauchen nach Hause kommt, dann geht der mir nicht mehr vom Rockzipfel. Der liegt da, wo ich mich aufhalte, na auch, weil hin und wieder mal ein Leckerli abfällt, aber wehe, ich gehe in ein anderes Zimmer und komme nicht sofort wieder zurück, dann sollten Sie ihn mal hören.

Motorradhelme und ein Pokal vom Keglerverein stehen auf Ihrer Kommode, auf den Regalen an der Wand ist die riesige Sammlung mit Spielzeuglastwagen – haben Sie noch Zeit für andere Dinge außer Oskar?

Die Lastwagen sind das Hobby von meinem Mann, Oskar ist mein Hobby. Das muss ich sagen, Oskar ist für mich eine richtige Person. Wenn er ein Kind wäre, dann müsst ick mich doch ooch kümmern. Nich nur ma eben. Ein Tier ist Verantwortung. Wat haben wir wieder an Weihnachten erlebt: Da werden – oh, wie niedlich – mal so Tiere verschenkt und dann merken die Leute, dass die Arbeit machen, und – schwupp – weg damit in die Rehberge. In Berlin ist doch alles so schlimm geworden.

Was genau ist schlimm geworden?

Dass die Stimmung so mies ist. Und die Ausländer, ich meine, die fragen mich, ob ein Schwein beißt. Wissen tun sie es nicht. Aber wenn et beißen täte, dann würden sie sich bestimmt eins zulegen anstatt Kampfhund. Dass Schweine klüger als Hunde sind, interessiert die nicht. Die Leute haben einfach keine Ahnung. „Guck mal, ein Warzenschwein“, hat ein Vater neulich zu seinem Sohn gesagt. Da bin ick platt. Oder in der Gartenkolonie drüben auf der anderen Straßenseite, da komm ich einer Schulklasse entgegen, und ein Schüler sagt: „Guck mal, ein Wildschwein.“ Der Lehrer geht daneben, aber der korrijiert ihn nich. Schlimm, wo man hinguckt. Oder zum Beispiel auf Arbeit. Ohne uns zu fragen, hat der Betriebsrat entschieden, dass wir eine Woche unbezahlten Urlaub im Jahr nehmen müssen, damit niemand entlassen wird. Und die machen das jetzt so, dass sie uns jeden Monat ein bisschen vom Lohn abziehen, damit wir es kaum merken sollen, dafür können wir eine Woche freimachen. Ich mein, fragen hätten sie ja können.

Und Ihren Ärger über die Welt kriegt Oskar mit?

Nee, der versöhnt mich wieder mit ihr.

Die Tiere sollen ja sehr klug sein? Was weiß Oskar?

Der weeß allet.

„Im Fernsehen ham se jezeigt, dass man auch Schweine als Haustiere halten kann. Da hab ich meinen Mann gefragt, wie es denn mit so wat wär. Das kam dem zuerst spanisch vor, aber dann war er doch offen für wat Neuet“

Haben Sie ihm auch schon kleine Kunststückchen beigebracht?

Der kann „sitz“ machen“. Aber manchmal tut er nur so, als würde er „sitz“ machen“, wenn ich „sitz“ sage, und schaut mich mit seinem knuffigen Gesicht an, als ob er sagen will: „Siehst doch, dass ich es kann, also lass mich in Ruhe.“

Und was frisst so ein Schwein? Ist Oskar Ihre Biomülltonne?

Nein. Der bekommt gekochtes Gemüse und Haferflocken. Vegetarier ist er, aber hin und wieder mag er auch ein Würstchen. Der isst im Grunde, was wir essen.

Wie ist es im Urlaub?

Oskar ist unser Urlaub.

Haben Sie noch andere Lebensziele, als sich ums Schwein zu kümmern?

Lebensziele, wie meinen Sie das denn? Ich hol mir doch nicht so ein Tier, um es hinterher in den Rehbergen zu lassen. Für den Oskar tue ich alles. Der ist für mich wie eine richtige Person. Der gibt mir doch zurück, was ich ihm gebe. Und wenn er krank wäre, ich würde den pflegen. Und wenn er im Alter Arthrose hat, dann versuche ich alles, um ihm das Leben angenehm zu machen.

Und schlachten?

Nur über meine Leiche.

Gibt es denn was, was Oskar nicht darf?

Er darf nicht in unser Bett. Das hat mein Mann verboten. Aber manchmal kommt er ins Schlafzimmer und wenn er uns schlafen sieht, legt er sich vors Bett und schläft auch noch ne Runde.

Verändert sich der Mensch, wenn er ein Gefährte vom Schwein wird?

Was meinen Sie, ob wir schon grunzen?