Zivildienst, ade!

Berlin richtet sich auf die Zeit nach dem Zivildienst ein. Ältere Freiwillige sollen die entstehende Lücke schließen. Sicher ist: Die Versorgung leidet, vielen Jugendlichen werden wichtige Erfahrungen fehlen

VON BERNHARD HÜBNER

Jan Raschert wird die Kotze aufwischen. Manchmal kippt ein Gast auf der Toilette um und übergibt sich. Dann muss der Zivi sauber machen. Er kennt seine Gäste, vor allen diejenigen, denen die Krankheit im Gesicht steht. In den bleichen Wangen, den müden Augen. Und die, denen man noch nicht ansieht, dass sie HIV-positiv sind. Jan räumt das dreckige Geschirr von einem der kleinen runden Tische. Es gibt Frühstück für 1,50 Euro. Für einige, die im Saal sitzen, ist das viel Geld. „Man sieht das Elend“, sagt Jan später. Er ist trozdem gerne hier. Der 21-jährige ist Zivi bei der Berliner Aidshilfe. Er schätzt seinen Dienst.

Anders als Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS): „Die PDS ist grundsätzlich gegen Zwangsdienste“, erörterte sie vergangene Woche die Nachteile des Dienstes ohne Waffe. Ob in vier oder in sechs Jahren, die Debatte um eine Abschaffung der Wehrpflicht intensiviert sich. Mit ihr würde auch der Zivildienst abgeschafft. Im Herbst will die Bundesregierung die Dienstzeit von 10 auf 9 Monate verkürzen.

Schon jetzt sind in der Stadt nur 60 Prozent aller Zivi-Plätze belegt. Alles kein Problem für Berlin, wenn man der Senatorin glaubt. Mit dem Geld, das der Bund bisher für den Zivildienst ausgebe, ließen sich Fachkräfte einstellen. Für die restliche Arbeit könnten Freiwillige eingesetzt werden.

Zum Beispiel Jugendliche, die ein Freiwilliges Sozialen Jahr absolvieren. Nur: Am 15. Januar gab es in Berliner Krankenhäusern, Altenheimen und anderen sozialen Einrichtungen 3.362 Zivis, hingegen nur etwa 900 Jugendliche im Freiwilligen Sozialen Jahr. Und auch Freiwillge kosten (siehe unten). Wegen den Kürzungen im sozialen Bereich, ist es bereits jetzt für viele Einrichtungen schwer, ihre Leistungen aufrechtzuerhalten. „Es könnte sein, dass Angebote wegfallen“, sagt Jans Chefin, Birgit Krenz, stellvertretende Geschäftsführerin der Aidshilfe. So etwas, wie das 1,50-Euro-Frühstück für Bedürftige würde es wohl nicht mehr geben.

Bei der Aidshilfe arbeiten 195 Ehrenamtliche. Trotzdem brauchen sie die Zivis. Als Jungen für alles, die die ganze Woche über da sind und helfen können. Ehrenamtliche können das kaum. Sie haben meist nur an wenigen Tagen Zeit. Festangestellte sind zu teuer für den Verein.

Beim größten Anbieter für Zivildienstplätze in Berlin ist man dagegen optimistisch, dass es auch ohne Zivis geht. „Bis 2008 können wir uns ohne Qualitätsverluste auf die neue Situation einstellen“, sagt Oswald Menninger, Geschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtverbands Berlin, der im Moment 842 Zivis beschäftigt. Sein Konzept: mehr Freiwilligenarbeit. „Wir müssen professioneller werben“, sagt Menninger. „In der Vergangenheit haben wir zu sehr die Mühe und Aufopferung der sozialen Arbeit betont.“ Man müsse die Vermittlung zwischen Freiwilligen und sozialen Einrichtungen verbessern und Freiwilligenagenturen fördern. Bewerber für freiwillige Arbeit gebe es genug. „Wir müssen aber auch ältere Menschen ansprechen.“ Auch die Kommission des Bundesfamilienministeriums hat vergangene Woche vorgeschlagen, mehr ältere Freizeithelfer einzusetzen.

Dabei sind oft besonders die Jugendlichen selbst davon überzeugt, dass der Zivildienst wichtig ist. „Ich habe eingesehen, dass es Sinn macht“, sagt Jan Raschert, der Zivi. Der Job in der Aidshilfe hatte ihn anfänglich genervt. Jetzt nennt er den Zivildienst eine „persönlich schöne Erfahrung“, bei der er viel lernt. „Man sieht nicht nur Zahlen“, sagt Jan über seine Arbeit mit den Kranken. „Man bekommt Kontakt zum Elend und steht manchmal hilflos daneben. Als gesunder Mensch bekommt man so etwas sonst nicht mit.“