Grobe Klötzchen

TV-Zuschauer Deutschlands, schaut auf diese Stadt! Erste Erfahrungen mit dem digitalen Fernsehzeitalter in Berlin zeigen: Es ist besser als erwartet

von JÜRGEN BISCHOFF

Jetzt ist es also richtig losgegangen, das digitale Fernsehzeitalter in Berlin. Wenn ich jetzt noch das erste Programm analog über meine Dachantenne auf den Bildschirm hole, dann habe ich ein verschneites Schwarzweißbild, manchmal auf Farbe umspringend. Das ZDF ist gar nicht mehr zu kriegen, und nur noch die Dritten von ORB und SFB in ziemlich dürftiger Qualität sowie, kaum wahrnehmbar, die BBC landen auf dem Bildschirm.

Dafür sind alle diese Programme jetzt über die kleine schwarze Kiste im Taschenbuchformat zu kriegen, der billigsten Set-Top-Box von TechniSat. Und die hat im jüngsten Test der Stiftung Warentest sogar am besten abgeschnitten, insbesondere wegen ihrer Bildqualität.

Und: ich kann es nur bestätigen. Das ist was dran. Ob es nun an der speziellen Set-Top-Box liegt oder nicht – ich kriege jetzt 21 Programme aus dem Himmel über Berlin in nie gekannter Qualität. Selbst der überflüssigste Sender von allen, RTL, dessen miserable analoge Bildqualität mir allenfalls dreimal im Jahr aufgefallen ist, wenn dort mal ein Spielfilmhighlight wie demnächst „Erin Brockovitch“ gesendet wird, ist jetzt voll präsent. Bis dato habe ich mir in solchen Fällen mit meiner Satellitenschüssel beholfen, doch jetzt muss ich feststellen, wie lausig doch dort auf dieser alten analogen Kiste selbst das bis dato als gut empfundene Bild rüberkommt. Matschige Farben und früher nie wahrgenommene, kaum sichtbare durchlaufende Wellen. Kein Vergleich zur Bildbrillanz des terrestrischen digitalen Fernsehens.

Über die Set-Top-Box kriege ich jetzt auch Phoenix, Kabel 1, ZDF info-Kanal und die Regionalwellen des WDR, MDR und NDR, Kika und Arte ab 14 Uhr, FAB (Fernsehen aus Berlin) – bis dato vollkommen verrauscht, allerdings auch nicht vermisst. Wenn ich nicht aus beruflichen Gründen eine Schüssel bräuchte, ich könnte sie mir jetzt endlich abklemmen. DVB-T reicht mir vollkommen.

Noch vor ein paar Tagen war es anders. Da waren offiziell nur acht Programme, vier öffentlich-rechtliche und vier Private zu empfangen, in Wirklichkeit aber zu Testzwecken auch schon 23 (incl. mtv, n-tv und andere). Drei davon bekam ich hier unten an der südöstlichen Stadtgrenze nicht auf den Monitor. Das digitale Signal war zu schwach. Mittlerweile wurden die Frequenzen gewechselt, und Vox ist jetzt drauf und die BBC …

Allerdings: Ein bisschen Wasser in den Wein muss ich schon gießen, obwohl ich nicht die Probleme mit dem Empfang habe, von dem die Hauptstadtpresse schon nach einem Tag in fetten Schlagzeilen zu berichten weiß: überhaupt kein Empfang in Köpenick, Störungen durch Handies und unabgeschirmte andere elektrische Geräte. Bei mir macht sich gerade bei der ARD ab und zu ein Signalausfall bemerkbar. Die große Schwäche der digitalen Ausstrahlung – entweder 100 Prozent Bild oder gar keines, auf keinen Fall aber ein schlechter Empfang irgendwo dazwischen – die machte sich gleich bei der „Tagesschau“ und der Wetterkarte bemerkbar. Und auch beim James Bond am Samstag auf SFB 3 waren die Prügelszenen mit sGoldfinger zu schnell fürs Digitale. Grobe Klötzchengrafik statt schnell ausholender und verwischender Oberarme. Das hatte ich bislang in der Testphase noch nicht, aber damit werde ich jetzt wohl leben müssen.

Und auch der versprochene Mehrwert des „Überallfernsehens“, der kommt nicht an: mit einer simplen Zimmerantenne reduziert sich bei mir die Zahl der Programme erheblich. Also gut: wieder das Kabel von der Dachantenne rein in die Buchse. Dabei – so die Entwickler des digitalen Fernsehens – soll es eigentlich schon ausreichen, eine größere Büroklammer in die Antennensteckdose zu stecken, um die Programmvielfalt frei Haus geliefert zu bekommen. Wie mag das erst einmal auf dem flachen Land aussehen?

Am meisten aber nervt mich der Wegfall des VPS-Signals. Jetzt heißt es wieder vor dem Fernseher sitzen, bis der verspätete Spielfilm anfängt und dann das vorausberechnete Ende programmieren. Oder – mein Glück – wieder auf die analoge Schüssel zurückgreifen.

Die Preise für die Set-Top-Boxen sind übrigens noch nicht so sehr gefallen, wie es die Verantwortlichen von der Berlin-Brandenburger Medienanstalt (MABB) noch im November gehofft hatten. Hinter den Kulissen wird gemunkelt, dass Hans Hege, der Präsident der MABB, den Zuschauern keinen Gefallen damit getan hat, frühzeitig die Hersteller auf die 199-Euro-Schallgrenze für die simpelsten Decoder einzuschwören. Längst seien die Geräte weit unter diesem Preis herzustellen – Industrie und Handel freuen sich endlich einmal wieder über großzügige Handelsspannen.