■ „Bisher musste noch kein Zivi seinen Dienst hinter Stacheldrahtzäunen verrichten“
: „Zwangsdienst“ = „Zwangsarbeit“?

betr.: „Es geht auch ohne Zwang“ (Zivildienst), Kommentar von Christian Rath, taz vom 12. 1. 04

In seinem Leitartikel kommt Christian Rath zu dem völlig unverständlichen Schluss, dass ein obligatorisches Sozialjahr „genauso verfassungswidrig wie eine staatliche Pflicht zum Frühsport“ sei. Tatsächlich geht es hier nicht um die Frage „selbst zu bestimmen, welche Erfahrungen er oder sie machen möchte“, sondern um das Problem, wie in unserer Gesellschaft Solidarität (zwischen Jungen und Alten, zwischen Arm und Reich, zwischen In- und Ausländern) gelebt und organisiert wird. Dies nur der individuellen Entscheidung zu überlassen, ist meiner Auffassung nach ein Armutszeugnis, das ich eigentlich weniger auf der ?Linken? als vielmehr bei den Möllemann-Westerwelle-Liberalen vermutet bzw. mir gewünscht hätte. Tatsächlich trat auch die FDP als erste Partei mit einer solchen Forderung an die Öffentlichkeit.

Sicherlich ist es richtig, für eine Umwandlung der Wehrpflicht in einen sozialen Pflichtdienst zu plädieren – das entspricht unserem Gott sei dank gewandelten Verständnis über den „Tod für das Vaterland“ wie auch den veränderten Geschlechterbildern, die uns von unseren Vorfahren aus dem 19. Jahrhundert trennen. Gerade in einer Zeit aber, wo die soziale Schere immer weiter auseinander klafft, in der ein konsumorientierter Individualismus fröhliche Urständ feiert, wäre es eigentlich besonders wichtig, die Verpflichtung des Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft nicht aus den Augen zu verlieren.

Das ist natürlich immer mit gewissen Opfern verbunden – was vor allem die behüteten Kinder des Bürgertums schmerzen mag, die ein solcher Dienst mitten in ihrer Ausbildungsphase trifft. Daher ist es – wie uns Historikern bekannt ist – auch nicht neu, dass vor allem aus ihrem Kreis die Widerstände gegenüber jedem Dienst für die Gemeinschaft groß ist. Gleichzeitig bedeutet ein solcher Dienst eben aber auch die praktische Erfahrung einer gesellschaftlichen Solidarität, die ganze Generationen von Zivildienstleistenden in den letzten Jahrzehnten gemacht haben – und dies nicht zu ihrem Schaden.

JAKOB VOGEL, Berlin

Ich empfand meinen „Dienst“ (zivil, im Übrigen) auch als einen unzeitgemäßen Eingriff in meine Interessensphäre. Vielen Schülern geht das allerdings ebenso. Dennoch hält der Staat (aus gutem Grund) an der Schulpflicht und ihrer Einhaltung fest. Gerade zivile Arbeit (auch ökologische, Politik- oder Friedensarbeit) fördert individuelle und gesellschaftliche Reife, ist Lernen am Menschen und eine große Bereicherung nach trockenen Schuljahren.

Diese Ressource wird in Deutschland immer noch viel zu wenig ausgenutzt und gefördert: Bis heute schreibt man eine seitenlange Verweigerung (!), um dann Menschen zu helfen (statt zu üben, wie man sie tötet). Pervers, oder? Ein Jahr verpflichtende Gesellschaftsarbeit hingegen könnte, als Chance begriffen, jungen Menschen – warum nicht auch Frauen – Orientierung, Gemeinsinn und Humanität vermitteln. Für solche Werte könnte man doch auch die Verfassung ändern?! FLORIAN KOBLER, Köln

Verlockender Gedanke: Wo bislang drei Zivis für das Gemeinwohl tätig waren, könnten künftig zwei derzeit Arbeitslose fest angestellt werden, z. B. als Hilfskräfte im Altersheim. Verlockend nur auf den ersten Blick. Denn, machen wir uns doch nichts vor, viele derjenigen, die in der Altenpflege beschäftigt sind, würden lieber auf einen „besseren“ Arbeitsplatz wechseln, wenn sie könnten. Das spricht zumindest gegen ihre Motivation.

Allerdings gibt es auch in anderen Branchen Schichtdienst, empörend niedrige Bezahlung und zu viele Aufgaben für zu wenig Personal. Bei der Altenarbeit kommt aber noch etwas hinzu, das emotional kaum zu bewältigen ist: der Umgang mit Hilfsbedürftigen, die nicht dort sein wollen, wo man sie mangels anderer Perspektiven hingebracht hat. Liebevolle Zuwendung würde helfen, aber die Zeit reicht oft genug nicht einmal für die körperliche Versorgung aller. Zivis in der Altenpflege leisten etwas, worin fest angestellte Hilfskräfte sie nicht ersetzen können. Menschen, die diese schwere Arbeit freiwillig und für eine begrenzte Zeit machen, bringen die positiven Energien derjenigen mit, die wissen, dass sie nicht bleiben müssen. (Manchen Ferienjob hätte ich ohne dieses Wissen gar nicht durchgehalten.) Ihre Impulse können heilend wirken – auf die pflegebedürftigen Alten wie auf das Stammpersonal.

Genau so wichtig erscheint mir der Gewinn, den diese jungen Männer für ihr eigenes Leben haben. Ihre künftigen PartnerInnen werden auch davon profitieren und damit unsere Gesellschaft. Gut, wenn die Wehrpflicht abgeschafft wird – ein „soziales Jahr“ oder etwas Vergleichbares tut es auch. Wer jetzt die Gleichberechtigungskeule schwingen will, der sei daran erinnert, dass Frauen für das Gemeinwohl bereits Erhebliches abverlangt wird: Schwangerschaft(en), Erziehungsarbeit – nicht zu vergessen die Versorgung pflegebedürftiger Eltern und Schwiegereltern.

BARBARA AHRENS, Berlin

Der Kommentar predigt einen Uralt-68er Freiheitsbegriff. Pflichtdienst wird mit Zwangsdienst gleichgesetzt, Zwangsdienst mit Zwangsarbeit. Da kann man ja gleich „Workuta“ sagen. Meines Wissens musste aber bisher noch kein Zivi seinen Dienst hinter Stacheldrahtzäunen verrichten.

„Zwangsdienst“ und „Zwangsarbeit“ – das sind Totschlagargumente. Damit kann man in Deutschland jede Diskussion abwürgen. Worum geht es beim Zivildienst? Genauer: bei der sozialen Dienstpflicht für alle? Zum Beispiel darum, dass junge Erwachsene zwischen Schule und Hochschule etwas anderes kennen lernen als nur die Schokoladenseite der Gesellschaft. Der Dienst im Krankenhaus, im Altersheim und in der Bahnhofsdiakonie stärkt die soziale Kompetenz, an der es den meisten Abiturienten mangelt. Diese Kompetenz wird immer wichtiger, je stärker sich das soziale Klima in Deutschland abkühlt. DETLEF KOENEMANN, Bielefeld

Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor. Die erscheinenden Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.