ANGELA MERKEL BEERDIGT DIE GROSSE STEUERREFORM
: Ende einer Schmierenkomödie

So schnell ist ein großes politisches Thema wohl noch nie beerdigt worden. Eigentlich sollte 2004 das Jahr der großen Steuerreform werden, so hatten es alle führenden Politiker von SPD und CDU zum Jahreswechsel beteuert. Doch der Elan hat gerade mal bis zum 18. Januar gereicht – bis CDU-Chefin Angela Merkel in einem Interview verkündete, „aller Wahrscheinlichkeit nach“ werde es in diesem Jahr „keine große Steuerreform geben“.

Offiziell schiebt die Oppositionsführerin der Regierung die Schuld am Scheitern zu. Aber in Wahrheit agierte Merkel aus eigenem Interesse. Eine Einigung mit der bayerischen Schwesterpartei war bei dem delikaten Thema nicht in Sicht. Obendrein drohte sich das jüngste Eingeständnis, das radikale Konzept des Finanzexperten Friedrich Merz sei gar nicht finanzierbar, zu einer größeren Peinlichkeit auszuwachsen. Da war der Parteichefin ein Ende mit Schrecken offenbar lieber als ein Schrecken ohne Ende – zumal durch die Notbremsung weniger sie selbst beschädigt ist als vielmehr ihr Intimfeind Merz.

Nicht minder scheinheilig als die Union agierte in der Steuerfrage freilich auch Rot-Grün. Aber die Regierung war klug genug, auf den populären Ruf nach einem simplen Steuerrecht gerade noch rechtzeitig aufzuspringen und den Ball damit ins Feld der Opposition zurückzuspielen. Und nur darum ging es, denn an die Machbarkeit der Reform glaubten die Akteure zu keinem Zeitpunkt. Eine Zusatzbelastung für ganze Bevölkerungsgruppen wie Pendler oder Nachtarbeiter wäre im Superwahljahr gar nicht durchsetzbar gewesen. Andererseits hätte der Staat eine volle Kompensation durch entsprechende Steuersenkungen für alle Bundesbürger nicht bezahlen können.

Das Schauspiel, das in den vergangenen Wochen unter dem Titel „Die große Steuerreform“ aufgeführt wurde, zählt daher zum unappetitlichen Genre des politischen Schmierentheaters. Doch spiegeln sich in den Lügen der Politiker allemal die Lebenslügen der Wähler: Sie wünschen sich ein geradliniges Steuerrecht und sind doch selbst aus krummem Holz geschnitzt. RALPH BOLLMANN