Schläfer in Wien wecken Geheimdienste

Rund 50 mutmaßliche Islamisten werden in Österreichs Hauptstadt von westlichen Sicherheitsdiensten beobachtet

WIEN taz ■ Wien hatte lange Zeit den Ruf einer etwas verschlafenen Stadt, Österreich galt als „Insel der Seligen“, fern der Fährnisse einer terrorgeplagten Welt. Dieser Ruf, obzwar etwas ramponiert, droht jetzt endgültig verloren zu gehen. Das verschlafene Wien wurde in der gestrigen Ausgabe der Tageszeitung Kurier als Stadt der Schläfer geoutet. Etwa 50 in Österreich ansässige Ausländer würden ständig von westlichen Sicherheitsdienstes beobachtet, die meisten von ihnen im Zusammenhang mit islamischem Fundamentalismus.

Etwa 200 Moscheen und muslimische Bethäuser in der Bundeshauptstadt und den Landeshauptstädten Graz, Linz und Innsbruck seien Bühnen für hetzerische Prediger. Augenscheinlich harmlose Lkw-Fahrer oder Bauarbeiter verbringen ihren Urlaub in mutmaßlichen Terror-Ausbildungslagern in Afghanistan. Der Kurier beruft sich offenbar auf Angaben des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), das staatsfeindliche Aktivitäten, von Spionage über Terrorverschwörungen bis Atomschmuggel, beobachtet und ausländischen Geheimdiensten meldet.

Die Abwehrdienste der EU-Staaten kooperieren ihrerseits mit den österreichischen Kollegen. So sorgte in Wien zu Jahresbeginn das Abhörprotokoll eines in Mailand geführten Telefongesprächs für Aufregung. Der kürzlich in Deutschland festgenommene und wieder freigelassene Algerier Abderrazak Mahdjoub und der ägyptische Imam Abu Umar hatten sich im Juni 2002 über die durch erhöhte Sicherheitsmaßnahmen in Europa entstandenen Schwierigkeiten unterhalten. Mahdjoub nannte Bulgarien und Österreich als Länder, wo man sich noch einfacher bewegen könne: „Das Land, von dem alles Mögliche seinen Ausgang nimmt, ist Österreich. Dort treffe ich alle Scheichs, alle unsere Brüder sind dort …“ Weiter sprach er über die Notwendigkeit, Mitarbeiter nichtarabischer Herkunft zu gewinnen: „Wir haben Albaner, Schweizer, Briten … In Deutschland haben wir Dolmetscher und Buchübersetzer; wir haben auch Leute in der Telekommunikation, auch in Österreich. Wichtig ist, dass ihr Glaube an den Islam ernsthaft ist.“ Die 50 Verdächtigen sollen Aktivisten von Organisationen wie der libanesischen Hisbullah, der palästinensischen Hamas oder der ägyptischen Al-Gamaa il-Islamiya sein. Neben islamischen Fundamentalisten stehen auch ehemalige Afghanistansöldner auf der Liste, Leute mit Lust am Töten. Sie werden von den österreichischen Behörden nicht behelligt, solange sie keine Straftat begehen.

Wien war schon im Kalten Krieg eine Drehscheibe für Spionage und Spionageabwehr. Hunderte westlicher und östlicher Agenten tummelten sich in der Hauptstadt. Jetzt richten sich die geheimdienstlichen Aktivitäten in erster Linie gegen mutmaßliche islamische Terroristen. Der Verfassungsschutz setzt auch auf Zusammenarbeit mit den Religionsgemeinschaften, die kein Interesse an einer Radikalisierung ihrer Gemeinde hätten. BVT-Chef Gert Polli im Kurier: „Terrorbekämpfung beginnt im Gespräch mit Gruppierungen, die das Miteinander unterstützen.“

RALF LEONHARD