Europaparteitag der FDP (fast) ohne Europa

Westerwelle kritisiert deutsche „Bimmelbahnreformen“. Silvana Koch-Mehrin Spitzenkandidatin für die Europawahl

SAARBRÜCKEN taz ■ Bundesparteitag der FDP zur Aufstellung der Europawahlliste. Rund 600 Delegierte sind angereist. Parteichef Guido Westerwelle redet engagiert mehr als eine Stunde lang – über die „Bimmelbahnreformpolitik“ aller anderen Parteien. Über den Irak und China – und ganze drei Minuten über Europa. Kein einziges Wort zu Europa kam dem Chef des gastgebenden saarländischen Landesverbands über die Lippen. Christoph Hartmann funktionierte den Europaparteitag schlicht zum „Wahlkampfauftakt“ für die Kommunal- und Landtagswahlen an der Saar um. So viel zum Stellenwert Europas für die FDP, die im EU-Parlament seit 10 Jahren nicht mehr vertreten ist.

Eine Europaliste gewählt wurde dann doch noch. Die Unternehmensberaterin Silvana Koch-Mehrin, 33, aus Baden-Württemberg, wurde mit rund 92 Prozent auf Platz eins gewählt. Sie hatte sich als „Idealbesetzung“ empfohlen: „Ich bin Deutsche. Mein Mann ist Ire. Und unsere Tochter ist in Belgien geboren.“ Sollte die FDP im Sommer die Fünfprozenthürde überspringen, woran die Wahlforschungsinstitute nicht glauben, will sie sich für die „unbedingte Einhaltung des Stabilitätspakts“ einsetzen und dafür Sorge tragen, „dass in allen Mitgliedstaaten der Union Volksentscheide über die neue europäische Verfassung initiiert werden“. Wie alle anderen gewählten Kandidaten wollte Koch-Mehrin dann die von dem Delegierten Landauer vorgelegte „Verpflichtungserklärung“ nicht unterschreiben, wonach die potenziellen künftigen Abgeordneten nur ihrer parlamentarischen Arbeit nachzugehen hätten und keine Beraterverträge mit Dritten abschließen dürften. Der Mann wurde vom Parteitagspräsidium schnell als Querulant diskreditiert – und ausgebuht.

Als ein Liberaler aus Baden-Württemberg in der kurzen „Aussprache“ vor der Aufnahme der Türkei in die EU warnte und auf den Wertekanon des christlichen Abendlands verwies, schwiegen die Delegierten pikiert. Eine eigene Meinung zu diesem Thema trugen Westerwelle und die Kandidaten nicht vor. Die müsse sich in der Partei erst noch herausbilden, hieß es. Die Meinung über die Grünen steht dagegen fest. Sie sind der „natürliche Gegner einer Freiheitspartei“ (Westerwelle). Landeschef Hartmann schimpfte, der grüne Oberbürgermeister von Saarbrücken habe mit dem Verweis auf das Plakatierungsverbot außerhalb der heißen Wahlkampfphase der FDP selbst das Aufstellen von „Begrüßungsplakaten“ für den Parteitag verboten. Das nämlich sei „nur Zirkusunternehmen“ erlaubt. Darunter aber wollte sich die FDP nicht subsumieren lassen.

KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT