Patriotischer Nestbeschmutzer

Mit kritischem Blick: der texanische Country-Rocker Steve Earle stellt in der Fabrik sein viel diskutiertes Album „Jerusalem“ vor

von MATTHIAS SEEBERG

Die jüngst erschienene Biographie Steve Earles, Hardcore Troubador, erzählt die Geschichte eines Mannes, wie sie im Country-Business typischer scheinbar nicht sein könnte: Wie einst schon Woody Guthrie hat Earle die Winchester des Outlaws gegen die Gitarre des rebellierenden Barden eingetauscht und sich der Solidarität mit den Außenseitern, den Verstoßenen und den zu Dieben und Mördern gewordenen Verlierern verschrieben. Als 14-Jähriger verließ er sein Elternhaus und zog zu seinem Onkel, der ihm das Gitarrespielen beibrachte. Mit 19 zog es ihn ins Mekka der Country-Music, nach Nashville, TN. Nach jahrelangen Jobs als Hilfsarbeiter und mit der Unterstützung durch seinen Freund und Mentor Townes Van Zandt gelang ihm Mitte der 80er Jahre mit Guitar Town endlich der Durchbruch: Er wurde als Wiederauferstehung des Country-Rock gefeiert.

Der Absturz ließ nicht auf sich warten: Drogensucht und Waffenbesitz brachten Earle 1991 ins Gefängnis. Nachdem er selbiges als geläuterter Abstinenzler verließ, verfasste er einen Roman über den Tod von Hank Williams und ein Theaterstück über die erste seit dem Bürgerkrieg in Texas hingerichtete Frau. Und er bescherte der Country-Gemeinde weitere Alben, die sich mit den Schattenseiten der US-amerikanischen Gesellschaft auseinander setzten.

Einige Stücke seines jüngsten Albums Jerusalem haben Earle nun sogar den Vorwurf ,,unpatriotischer Umtriebe“ (Wall Street Journal) eingebracht. Vor allem an seinem „John Walker‘s Blues“, gewidmet dem zu 20 Jahren Haft verurteilten US-amerikanischen Taliban-Kämpfer John Walker Lindh, entzündete sich eine Debatte über den Umgang mit den Ereignissen vom 11. September 2001. Gegenüber Neil Youngs Heldengesang „Let‘s Roll“ oder Bruce Springsteens gequälten Durchhalteparolen auf The Rising wirkt die Identifikation mit dem zum Staatsfeind erklärten Walker als Provokation – für jene, die der eindimensionalen Propaganda der Bush-Regierung zustimmen und sich einer differenzierten Sicht auf die möglichen Ursachen des Desasters nach wie vor verweigern.

In den Augen solcher Hardliner gilt Earle auch durch das kritische Hinterfragen der 9-11-Berichterstattung (in „Conspiracy Theory“) oder seine zynische Abrechnung mit dem neoliberalen amerikanischen Gesundheitssystem („Amerika v. 6.0“) als Nestbeschmutzer. Und wer das Geschichts- und Fortschrittsverständnis der US-Politik mit der Begräbnisfloskel „Ashes to Ashes“ identifiziert und eine Anklage des Gefängnissystems mit „The Truth“ betitelt, kann doch unmöglich noch als Patriot gelten. Für Steve Earle aber, der sich einmal selbst als „borderline marxist“ bezeichnete, besteht die Aufgabe eines wirklichen Patrioten genau in diesem kritischen Blick. Diese Haltung, die ihren Ursprung in der Tradition puritanisch durchwirkter Gesellschaftskritik hat, misst das Bestehende an einem prinzipiell nicht zu hinterfragenden Traum. Es ist eine Kritik an konkreten Missständen und offensichtlichen Fehlern im gesellschaftlichen System – aber eben keine, die das System als Ganzes in Frage stellt.

Musikalisch darf man gespannt sein, welche Mischung Steve Earle und seine Band The Dukes bei ihrem Auftritt präsentieren werden. Denn Jerusalem ist, bei allen brisanten Texten, musikalisch kein besonders aufregendes Roots-Rock-Album. Die Platte wirkt bei gerade mal 37 Minuten Länge geradezu langatmig, eingesprenkelte Momente von R&B und Bluegrass sorgen zwar für hörenswerte Abwechslung, bewegen sich jedoch immer im konventionellem Rahmen. Aber vielleicht ist es dennoch wieder an der Zeit, ein Rockkonzert aus anderen Gründen zu besuchen, als bloß wegen eines schönen Abends.

Montag, 21 Uhr, Fabrik