Kluft überbrücken

Skeptiker wittern Kolonialismus, Enthusiasten sehen Chancen für Impulse: Im Rahmen des Festivals „Polyzentral“ gastiert das europäisch-mosambikanische Projekt „Alma Txina“ auf Kampnagel

von MARGA WOLFF

Das Projekt ist umstritten, wenngleich die meisten der von Europa aus initiierten Tanzprojekte auf dem afrikanischen Kontinent ähnlich begonnen haben: Choreographen aus Frankreich, England, Portugal, Belgien gehen für je ein bis zwei Monate in ein afrikanisches Land, unterrichten TänzerInnen vor Ort und erarbeiten mit ihnen Choreographien. Bestenfalls gehen aus derartigen Projekten Choreographen hervor, die eine eigene Tanzsprache entwickeln, Compagnien gründen, den Boden für eine neue Tanzkultur bereiten.

Die Compagnie Salia nï Seydou aus Burkina Faso, die im Januar auf Kampnagel zu Gast war, ist aus einer solchen Initiative mit der französischen Choreografin Mathilde Monnier hervorgegangen. Der Gründer der Compagnie Raiz di Polon von den Kapverden, die letzte Woche das Festival „Polyzentral“ eröffnete, arbeitete zuvor mit der Portugiesin Clara Andermatt. Mit dem Projekt Alma Txina aus Mosambik ist nun auf Kampnagel eine Vorstufe dieser Art von Kooperation zu Gast. Ein Produkt, das noch eine deutlich europäische Handschrift zeigt.

Anne Teresa de Keersmaekers Brüsseler Kaderschmiede für den zeitgenössischen Tanz, P.A.R.T.S., entsandte im Frühjahr 2002 fünf Absolventen und Dozenten ihrer Schule für zwei Monate nach Maputo. Die Choreographen Thomas Hauert, Isabelle Dekeyser, Arco Renz, Riina Saastamoinen und George Khumalo gaben Workshops für die lokale Tanzszene und erarbeiteten kurze Stücke. Mit diesem Programm, das in Hamburg auf zwei Abende verteilt gezeigt wird, geht nun eine Gruppe von 16 mosambikanischen TänzerInnen auf Tournee.

Maputo hat eine sehr lebendige Tanzszene. Es gibt zahlreiche unabhängige Compagnien. Neben einer reichen traditionellen Tanzkultur war im sozialistischen Mosambik bis zur Öffnung des Eisernen Vorhangs der Einfluss der Sowjetunion sehr stark – auch im Tanz. Maputos ganzer Stolz war die 1983 gegründete Nationale Tanzschule, in der Lehrer aus Moskau klassisches Ballett und Lehrer aus Kuba Modern Dance unterrichteten.

Heutzutage hat Russland Schwierigkeiten, im eigenen Land die Ballettensembles am Leben zu halten, somit war der Tanz in Mosambik wieder auf sich selbst gestellt. Doch überall in Schwarzafrika ist der Tanz dabei, seine Techniken weiterzuentwickeln. Auch Mosambik hat sich geöffnet. Viele sehen einen einzig auf das Rituelle beschränkten afrikanischen Tanz heute als begrenzt an. Zugleich wächst das Bedürfnis junger KünstlerInnen, die Kluft zwischen lokaler und globaler Situation durch eine neue künstlerischen Sprache zu überbrücken. Denn das Lebensgefühl der Menschen in den afrikanischen Metropolen unterscheidet sich kaum mehr von dem in Brüssel oder in Lissabon.

Dennoch regt sich Argwohn, besonders wenn frühere Kolonialherren im Spiel sind, wie hier Portugal. Denn das Brüsseler Projekt geht auf die Initiative eines von Lissabon aus veranstalteten Austauschprogramms zurück, das seit 1998 Workshops in Maputo veranstaltet. Stimmen wurden laut, die ein solches Engagement als neuen Kulturkolonialismus brandmarken. Bevormundung oder Anstoß zu einem neuen künstlerischen Selbstverständnis? Genau diese Fragen sollen im Publikumsgespräch im Anschluss an die Hamburger Premiere erörtert werden.

Für Hamburg hat die Einladung des Projekts Alma Txina zudem einen glücklichen Nebeneffekt: Der vom Publikum einst so geliebte, von Gordana Vnuk jedoch verschmähte Tanz aus Belgien hält somit auf dem Umweg über Afrika wieder Einzug auf Kampnagel. DerSchweizer Thomas Hauert – einer der fünf von P.A.R.T.S. entsandten Choreographen – zählt zu den spannendsten „Neuerscheinungen“ der Brüsseler Szene.

Alma Txina (Mosambik): Volume 1: 7. 3. 03, 21 Uhr. Volume 2: 8. 3. 03, 21 Uhr, Kampnagel (k1)