Süßer Sekt, schaler Samen

Irgendwann hat Molly Luft behauptet, sie sei die dickste Hure Deutschlands. Niemand hat ihr widersprochen. Nun moderiert sie im Offenen Kanal und empfängt Bonuscard-Kunden zum Gratis-Sex – alles wegen ihres Mannes. Ein Besuch in Schöneberg

VON KIRSTEN KÜPPERS

Die Bordellbetreiberin Molly Luft wohnt in Schöneberg. Die Geschäftszeiten ihres Unternehmens sind von Montag bis Samstag zwischen 10 und 19 Uhr. Die Wohnung liegt im Hochparterre eines großen Mietshauses. Es gibt eine Klingel mit Gegensprechanlage, die Preisliste hängt im Schlafzimmer der Chefin aus: Französisches Vorspiel mit Verkehr kostet 25 Euro, Fuß-Erotik 15 Euro, Schnellverkehr 20 Euro. Seit letztem Jahr gibt es für treue Kunden eine Bonuscard: Wer hier zehnmal Sex einkauft, bekommt das letzten Mal gratis. „Wir haben das Aldi-Prinzip in die Prostitution eingeführt“, erklärt Molly Luft diese Maßnahme.

Sie lehnt im Sessel ihres abgedunkelten Schlafzimmers, eine übergewichtige Frau mit einem Glas süßen Sekt in der Hand. Ihr Kleid ist lang und rot und hat einen sehr tiefen Ausschnitt. Im Zimmer riecht es ein bisschen nach nassem Hund. Das liegt an Kessi, dem Schäferhund, der auf dem Teppichboden sitzt.

Bevor Molly Luft jetzt erzählt, wie es zu den Aldi-Preisen gekommen ist, wie es ist, mit 59 Jahren Pornovideos zu drehen, wie man die „dickste Hure Deutschlands“ wird und warum sie jeden Dienstag in ihrer Fernsehsendung auf dem offenen Kanal ihre großen Brüste zeigt, stellt sie kurz ihr Sektglas ab. Sie läuft raus in die Küche und setzt das Kraut auf. Heute Nachmittag ist Betriebsfeier und es gibt Rotkraut für sie und die Mädchen.

„Ich war früher eine treudoofe, prüde Person“, erklärt Molly Luft, als sie wieder im Sessel sitzt, sie zupft sich am Ausschnitt. Zuerst hat sie eine Lehre als Radio- und Fernsehverkäuferin gemacht, dann hat sie geheiratet, einen Honigkocher aus einer Westberliner Honigfabrik. Die Karriere hat erst mit ihrem zweiten Mann begonnen.

Der zweite Ehemann wollte andere Frauen. Er wollte mit mehreren Frauen gleichzeitig ins Bett. Molly Luft hat das nicht gefallen. Aber sie hat mitgemacht. Sie wollte ihren Mann nicht verlieren. Sie hat ihn geliebt. Weil sie Angst hatte, dass er sie wegen einer Frau mit größeren Brüsten verlässt, fing sie an, immer mehr zu essen. „Sahnetorten, Rippchen, Schnitzel. Ich habe reingehauen. Und alles was gut schmeckt, macht ja dick!“, meint sie. Ihr Mann wollte auch, dass sie mit anderen Männern schläft. Also hat sie in den Zeitungen unter der Rubrik „Bekanntschaften“ inseriert.

Die Besucher kamen in ihre Wohnung in Lichterfelde. Sie waren höflich und nett. Sie brachten Blumen mit und Pralinen. Molly Luft trank mit jedem ein Glas. Sie hat ziemlich gut verdient. Molly Luft tätschelt Kessi, den Schäferhund, es lässt sich nichts Schlimmes sagen über diese Zeit. Später kamen andere Frauen dazu, sie zogen das Geschäft gemeinsam auf, sie mieteten eine Wohnung in der Innenstadt. Die Dienstleistung professionalisierte sich. Die Gäste blieben nur noch für eine schnelle Nummer und gingen dann wieder. Pralinen und Blumen gab es keine mehr. Irgendwann fing Molly Luft an zu behaupten, sie sei die dickste Hure Deutschlands. Es hat ihr keiner widersprochen.

Mittlerweile ist sie 30 Jahre im Geschäft. Es läuft ganz gut. Sie hat eine wöchentliche Sendung im Offenen Kanal, wo sie ihrem Publikum Fragen stellt wie: Wo habt ihr den geilsten Sex gehabt? Oder: Was haltet ihr von einem flotten Dreier? Am Ende der Sendung zeigt sie ihre Brüste vor. „Das erwarten die Zuschauer einfach von mir.“ Bisweilen spielt sie in einem Pornovideo mit. Die Videos schenkt sie den Bonuscard-Kunden. Sie wird für Auftritte in Großraumdiskotheken gebucht oder für Geburtstagsfeiern. Manchmal sitzt sie auch einfach im Schlafzimmer ihres Bordells und gibt Interviews, in ihrem Rücken läuft der Betrieb weiter. Ab und zu klingelt es draußen an der Tür, die Kolleginnen öffnen. „Wir haben die billigsten Preise in der ganzen Gegend“, sagt Molly Luft. Sie will die Stammkundschaft halten.

Überhaupt macht sie gerne Werbung fürs Geschäft. Viele Frauen rufen sie dienstags in ihrer Sendung an, meint sie. Die Frauen schwärmen. Sie glauben, Molly Luft sei ein Vorbild. Wegen ihrem Selbstbewusstsein, wegen ihrer Sexualität, wegen ihrem Dicksein. Molly Luft genießt diese Aufmerksamkeit. Sagen kann sie dazu wenig. Sie ist keine Feministin, an den emanzipatorischen Aspekten von Körperfett hat sie kein Interesse, über andere Frauen redet sie eher schlecht. „Eigentlich habe ich alles nur wegen meinem Mann getan“, findet sie.

Der Mann wollte schöne Reisen machen, er wollte elegante Anzüge tragen und gut essen gehen. Molly Luft hat diesen Luxus bezahlt. Die Prostitution hat ihr keinen besonderen Spaß gemacht. Es war einfach ein Beruf, der Geld brachte. Irgendwann hat sie sich scheiden lassen. Der Respekt war weg, dann kam der Plan. 1994 hat Molly Luft ihren Exmann ein zweites Mal geheiratet. „Um die Witwenrente abzukassieren“, lacht sie böse. „Ich bin da ganz ehrlich.“ Er ist 15 Jahre älter. Er wird nicht ewig leben. Sie hat sich das ausgerechnet. Zuneigung ist keine geblieben. Nur Rache. Molly Luft kann lange über die schlechten Eigenschaften ihres Mannes reden.

Dazwischen bleibt die Zukunft übersichtlich. In diesem Jahr will sich Luft zur Ruhe setzen. Sie wird ihr Geschäft in Schöneberg aufgeben. An der Ostsee hat sie eine Eigentumswohnung gekauft, vielleicht zieht sie dort hin. „Eventuell eröffne ich auch eine Kneipe oder eine Videothek“, sagt sie. Vorher gibt es noch ein Geburtstagsfest. Am 19. März wird Molly Luft 60. Sie wird im Geburtstagsklub feiern, einer Gaststätte in Friedrichshain. „Da kann jeder kommen!“, ruft sie, „Auch die taz-Leser! Schreiben Sie das!“ Jemand wird Lieder von Udo Jürgens singen, eine Schlangentänzerin wird auftreten, Molly Luft wird ihre Brüste zeigen. Es wird eine ausgelassene Gesellschaft werden.