Der 101. harmlose Naturpark

Ein Viertel der Fläche Deutschlands wird von Naturparks bedeckt, an der Schlei wurde der 101. eröffnet. Der Naturpark-Status verbietet jedoch nichts, auch nicht die Ansiedlung von Schwerindustrie

von ESTHER GEISSLINGER

Träge paddeln Enten über die Schlei, die an diesem Herbsttag trüb wie ein schlecht geputzter Spiegel aussieht, eine Möwe segelt über die „Schlei Princess“ hinweg. Wäre die Tierwelt weniger gelangweilt, wenn sie wüsste, was auf dem Boot passiert?

Dort wird immerhin der „Naturpark Schlei“ eingeweiht, 50.000 Hektar groß, auf beiden Seiten des Ostseearms gelegen und verteilt auf über 40 Städte und Gemeinden. Es ist der 101. Naturpark Deutschlands und „einer der landschaftlich reizvollsten“, so Peter Martin Dreyer, Vorsitzender des Trägervereins, Vorsteher des Amtes Kappeln-Land und Bürgermeister des Dörfchens Rabenkirchen-Faulück. An diesem Tag, an Bord der „Princess“, dankt Dreyer allen, die irgendetwas mit dem neuen Park zu tun haben, er spricht davon, dass die Idee nicht von oben aufgedrückt, sondern von den Gemeinden selbst entwickelt wurde. Es scheint, etwas Großes und Neues habe begonnen.

Aber die Enten und Möwen vor den Fenstern und die Bürgermeister und Interessenvertreter dahinter können ganz beruhigt sein, denn Dreyer erklärt: „Der Naturpark bringt keine zusätzlichen Erschwernisse.“ Ja, fährt er fort, es gäbe zwar eine „sprachliche Nähe“ zu solchen Begriffen wie Nationalpark oder Naturschutzgebiet und das habe für Unruhe gesorgt in der Region, Angst hätten einige gehabt, dass „Brüssel es zu einem Naturschutzgebiet macht“, vielleicht zu einer Zeit, wenn das zuständige Ministerium „dann möglicherweise Umweltministerium heißt“. Aber keine Bange, beruhigt Dreyer: „Wir wollen die Menschen mitnehmen.“

Landwirtschaftsminister Christian von Boetticher (CDU) verrät der Runde nicht, dass im vollen Titel seines Hauses auch „Umweltschutz“ drinsteht, statt dessen berichtet er launig von Kindheitserinnerungen an die Schlei und überreicht eine Urkunde und einen Förderscheck. Michael Arndt, Präsident des Verbandes Deutscher Naturparke, scheint immerhin zu ahnen, dass der Landwirtschaftsminister auch mit Umweltschutz zu tun haben könnte, er nennt von Boetticher einen „wandelnden Kompromiss“ und erklärt dann, wozu Naturparks da sind: Sie sollen für „nachhaltigen Tourismus“ sorgen und Ziele bieten, „vor der Haustür, um die Ecke“, damit Leute nicht immer „auf die Malediven und in die Domenicanische Republik fliegen müssen“, was ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz sei.

Die jetzt 101 Naturparks bedecken rund ein Viertel Deutschlands, sechs liegen in Schleswig-Holstein, 13 in Niedersachsen. In den neuen Bundesländern sind große Parks entstanden, dort führt meist der Staat die Regie, während im Westen oft Zweckverbände gegründet wurden. Wesentlich mehr würden es wahrscheinlich nicht mehr werden, sagt Arndt: „Es kommt nicht auf Quantität, sondern auf Qualität an.“ Doch die sei durchaus verschieden: „Zwei Bänke und zwei Schilder reichen eigentlich nicht.“ Daher hat der Verband eine „Qualitätsoffensive“ gestartet. Wer dort gut abschneidet, kann sich „qualifizierter Naturpark“ nennen.

Zweck der Parks soll ein einheitliches Entwicklungskonzept sein, das Tourismus, Naturschutz, wirtschaftliche Entwicklung – eigentlich alles mit einschließt. Der Naturpark-Status verbietet nichts, auch nicht die Ansiedlung von Schwerindustrie. Allerdings liegen die meisten Parks in strukturschwachen Regionen, existierende Naturschutzgebiete sind eingeschlossen und behalten ihren Status. „Naturparks sind das harmloseste Instrument, das es gibt“, sagt Fritz Laß von der örtlichen BUND-Gruppe. Dennoch hat er sich dafür stark gemacht, weil er hofft, dem Naturschutz mehr Gewicht in der Region zu geben. „Die Befürchtung ist aber, dass es eine reine Tourismussache wird.“ Andere regionale Umweltgruppen halten die Ausweisung des Parks für reine Augenwischerei angesichts des geplanten Riesenhafens Port Olpenitz, berichtet Laß: „Das Argument ist: Wenn ein Naturpark so einen Hafen nicht verhindern kann, was soll er dann überhaupt?“

Das weiß Peter Martin Dreyer, der Vorsitzende des Naturpark-Vereins: „Man kann leichter Fördermittel generieren.“ Wenn etwa eine Gemeinde einen Radweg bauen oder ein paar Bänke aufstellen will, lässt sich daraus ein Projekt mit Anspruch auf Kreis-, Landes- und EU-Zuschüsse stricken. Im Prinzip kann auch der Verein Ideen vorgeben, „aber das muss der Vorstand mit Takt machen“, sagt Dreyer. Draußen flattert eine Ente auf, platscht aber gleich wieder ins Wasser: Ist nichts gewesen.