seitenblicke auf den us-wahlkampf
: Wenn in den USA jeder zur Wahl geht, ist Chaos auch ohne Wahlcomputer vorprogrammiert

Eine beliebte Zeitungsüberschrift in den USA dieser Tage lautet: „Stell dir vor, es sind Wahlen, und alle gehen hin.“ Nicht auszudenken! Tut sich die größte westliche Demokratie ohnehin schwer damit, ihre Wahlprozesse transparent und betrugssicher zu organisieren, so wird es richtig kritisch, wenn die Wähler sich – wie für Dienstag erwartet – massiv beteiligen wollen.

Zunächst muss sich, wer in den USA wählen will, registrieren lassen. In einem Land, das keine Einwohnermeldeämter kennt, geht hier das Problem bereits los. Zur Identifikation dienen Führerschein oder Sozialversicherungsnummer. Das ist nur bedingt sicher, und so weiß auch wer registriert ist nicht, ob er tatsächlich wählen darf. „Erwarten Sie nicht, dass Sie auf der Liste stehen, nur weil Sie schon seit Jahren wählen“, lautet der Tipp eines oberen Beamten der Wahlbehörden im Radio. Wie bitte? Na ja, da käme es immer wieder zu Problemen, und daher rät der Beamte, Wähler sollten sich rechtzeitig noch einmal erkundigen, ob sie tatsächlich auf der Liste stehen. Kann man sich vorstellen, wie unter solchen Umständen in Deutschland die Beteiligung aussehen würde?

Probleme bei der Wählerregistrierung werden sofort zum Gegenstand parteipolitischen Streits: Demokraten klagen stets, dass tausende rechtmäßige Wähler, insbesondere Schwarze und Menschen aus den unteren sozialen Schichten, unrechtmäßig abgewiesen würden. Republikaner hingegen klagen, die Wählerregister seien voll von Toten, von Doppeleintragungen, von Menschen, die es gar nicht gäbe.

Wenn es an die eigentliche Stimmabgabe geht, ist wieder überall alles anders. In den meisten Bundesstaaten wird in diesem Jahr nicht mit Wahlcomputern gewählt, sondern mit einem Stimmzettel, der dann eingescannt wird. Der Systemwechsel kostet Zeit. In Florida etwa werden über zwei Millionen Menschen schon vor dem Wahltag ihre Stimme abgegeben haben.

Dennoch erwarten die Wahlbehörden lange Schlangen am Dienstag. Und das ist für die meisten WählerInnen ein echtes Problem: Wer keine Lust hat, zum Wählen einen Urlaubstag zu nehmen, muss seinem Arbeitgeber erklären, warum er zu spät kommt, und nicht alle haben dafür Verständnis. Schon überlegen einige Bundesstaaten, die Wahllokale länger geöffnet zu halten – andere nicht. Und so werden auch an diesem Wahltag gegenseitige Betrugsvorwürfe und Berichte über massive Probleme auf der Tagesordnung stehen. BERND PICKERT