Dieser Körper atmet noch

Immer knuffig und mit Augenbrauen wie Kolkraben: In „Frida“ spielt Salma Hayek die mexikanische Künstlerin Frida Kahlo. Deren Bilder lernen durch eine eigens entwickelte Animationstechnik laufen

von BIRGIT GLOMBITZA

Sie ist ein Superstar. Mit allem, was an Verkitschung und Verklärung dazugehört. Klug, schlagfertig, energisch, politisch und von einer herben Schönheit. Schon zu Lebzeiten war Frida Kahlo eine Legende. Wegen ihrer eigensinnigen Malerei, die sich vom keinen Ismus so recht vereinnahmen ließ, vor allem aber wegen ihres Talents zur Selbstinszenierung, ihres unkonventionellen Lebensstils und nicht zuletzt – und dieser Märtyrerkult scheint das weltliche mit dem katholischen Groopietum zu verschwistern – wegen ihrer Leidensgeschichte. Bei einem Busunfall wurde die damals 18-Jährige, die bereits an Polio erkrankt war, von einer Eisenstange durchbohrt. Sie erlitt etliche Frakturen, die Wirbelsäule war gleich dreimal gebrochen. Bis zu ihrem Tod hatte sie mit zahllosen Folgeschäden und chronischen Schmerzen zu kämpfen.

Als Virtuosin des Schmerzes feiern sie die einen, als Galionsfigur feministischer Kunst die anderen, was in den Siebzigerjahren für einen regelrechten Hype sorgte. Doch zur Popikone wird Mexikos prominenteste Künstlerin erst jetzt, knapp 50 Jahre nach ihrem Tod im Jahr 1954.

Im letzten Dezember ging bei Sotheby’s in New York ein unspektakuläres Konvolut aus Briefen, Dokumenten und Illustrationen weg wie einst Elvis’ Arsenal an Glitzerbrillen. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits 2,3 Millionen Karten zum US-Kinostart von „Frida“ verkauft. In Mexiko hielt sich der Film später wochenlang auf Platz eins der Top Ten. Ein Besucheransturm, der sicher auch Salma Hayek, Mexikos Vertretung in Hollywood, zuzuschreiben ist, die als Hauptdarstellerin und Produzentin maßgeblich die Realisierung des Filmprojekts vorantrieb. Auf der Leinwand hält Hayek sich tapfer und stemmt sich nach Kräften gegen das eigene Klischee als knopfäugige Sexbombe. Manchmal rutscht ihre Frida ins Bambihafte, fehlt ihr Wut, Zynismus, Enttäuschung, Wucht und Hässlichkeit. Wenn sie die Hände in die Hüften stemmt oder alle unter den Tisch säuft, sieht das immer irgendwie knuffig aus. Dennoch, Hayek spielt die Rolle ihres Lebens, die Schwächen des Films liegen woanders.

Regisseurin Julie Taymor, die sich mit Musicals am Broadway einen Namen gemacht hat, erzählt das Leben der Frida Kahlo in den bunten Farben der an Votivbilder erinnernden Selbstporträts. Mal abgedämpft von den Weichzeichnern einer liebevollen Erinnerung, mal mit Emphase ausgestellt. Als gelte es, den Kahlo-Nachlass noch einmal mit Knalligkeit aufzufrischen.

Das Drehbuch entscheidet sich ganz und gar für die vertrackte Liebesgeschichte zwischen Frida und Diego Rivera, Mexikos berühmtestem Wandbildmaler. Eine gewaltige Erscheinung (gespielt von Alfred Molina), hoffnungslos untreu, Kahlo nennt ihn im Film mit mokanter Nachsicht Ochsenfrosch. Kahlo und Rivera, das ist eine nur gelegentlich glückliche Konstellation, in der Egozentrik, Zähigkeit und Leidensbereitschaft Programm sind.

Und wie so häufig, wenn das Kino und seine Legendenbildung sich Künstler und Experten auratischer Selbstpräsentationen einverleibt, lässt es sich auf ein mythologisches Kräftemessen ein, bei dem es nur verlieren kann. Zumindest wenn es sich aufs Nachbuchstabieren einer Vita und auf eine gefühlige kunstgewerbliche Ausmalung beschränkt. Vieles, was hier wie ein kecker inszenatorischer Einfall aussieht, hat Kahlos Leben im Detail selbst vorgelegt: von der Affäre mit Trotzki über ihre bisexuellen Eskapaden bis zu den Verkleidungen beispielsweise als Dandy für ein Familienfoto. Auch der Goldstaub auf Kahlos blutverklebtem Körper nach dem Unglück ist von der Kahlo-Biografin Hayden Herrera verbrieft. Herreras „Frida“-Monografie wurde für alle Abteilungen am Set zum Brevier für den angemessenen Umgang mit einer Legende. Vom Drehbuch bis zur Ausstattung, vom Kostüm bis zu Kahlos eindrucksvoll zusammengewachsenen Augenbrauen, die sich wie Kolkraben über Hayeks dunkel funkelnden Augen erheben.

Der ganze Stolz der Produktion sind jedoch die „3-D-Livemalereien“, eine eigens entwickelte Animationstechnik, bei der Kahlos Bilder laufen lernen. Bei einem Oeuvre, das mit anatomischen Details von schockierenden Verletzungen, von Fehlgeburten, herausgelösten Herzen und organischen Drenagen erzählt, wirkt eine solche Trickserei unfreiwillig komisch. Die Heftigkeit von Kahlos malerischem Dialog mit sich selbst verrennt sich hier in einen tragisch-putzigen Cartoon à la „Monty Python’s Flying Circus“.

Die signifikanteste Szene für das Scheitern des Films ist jedoch die, in der sich die schwerkranke Kahlo samt Bett zu ihrer ersten großen Einzelausstellung in Mexiko befördern lässt. „Vorsichtig, Jungs, dieser Körper atmet noch!“, knurrt sie die Träger an – ein Kommando, unter dessen Wucht der ganze Film in die Knie geht. Weil er vor dem Künstlerimago und seiner postumen Verselbstständigung eine Heidenangst zu haben scheint. Und weil er seine Sache allzu ordentlich, allzu ausgewogen machen will.

Kahlos Kunst ist wie „eine Schleife um eine Bombe“, hat André Breton einmal gesagt. Bei „Frida“ ist aus der Bombe eine zartbittere Konfektmischung geworden.

„Frida“. Regie: Julie Taymor. Mit Salma Hayek, Alfred Molina, Edward Norton u. a. USA 2002, 123 Min.