Freier Flug für Gentech-Samen

Geht es nach EU-Landwirtschaftskommissar Franz Fischler, soll Bauern keine Entschädigung für die Verunreinigung ihrer Felder zustehen

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Die EU-Kommission befasste sich gestern mit einem Problem, das jeder Amtsrichter aus seiner Praxis kennt. Wenn Ökos Mitglied in einer Laubenkolonie werden und Brennnesseln als schützenswerte Art auf ihrer Parzelle beherbergen, gibt es Stress mit den Nachbarn. Denn die Schrebergartenordnung schreibt genau vor, welche Pestizide zu welcher Jahreszeit versprüht werden müssen und welche Unkräuter auszurotten sind.

Agrarkommissar Franz Fischler verzichtete gestern auf ein eindeutiges Urteil und empfahl den Streithähnen, sich gütlich zu einigen – ohne einen Richterspruch aus Brüssel. Es geht dabei allerdings nicht um das friedliche Miteinander von Salat und Bennnesseln, sondern um „Koexistenz“ von genveränderten Pflanzen und solchen, die auf herkömmliche Weise gezüchtet wurden.

Seit 1998 haben die meisten EU-Staaten keine neuen Gentech-Arten mehr zugelassen. Sie reagierten mit diesem „De-facto-Moratorium“ auf die ablehnende Haltung der Verbraucher gegenüber genveränderten Produkten und auf die unklare Gesetzeslage. Inzwischen hat die Kommission zum Zulassungsverfahren, zur Verbrauchersicherheit und zur Kennzeichnungspflicht ein Gesetzespaket auf den Weg gebracht.

Mehrere Studien belegen mittlerweile, dass Pflanzensamen erstaunlich weite Strecken zurücklegen können und zum Beispiel durch Tiere bis zu vier Kilometer weit verschleppt werden. Deshalb muss ein Biobauer damit rechnen, mit dem Label „garantiert gentechfrei“ Etikettenschwindel zu betreiben, wenn in seiner Nachbarschaft Genfood angebaut wird.

Die Verbände drängen darauf, dass die Erzeuger von Genpflanzen für den Schaden haftbar gemacht werden. Die EU-Kommission folgt dieser Logik nicht. Ins freie Feld komme nur, was vorab ausführlich getestet und für gesundheitlich unbedenklich erklärt worden sei. Es könne also nicht darum gehen, die Verbraucher vor Schaden zu schützen. Koexistenz könne allenfalls negative Folgen für den Marktwert eines Produktes haben – und da sei völlig offen, wer sich Sorgen machen müsse: Der Produzent eines hochwertigen Gentech-Produkts, das durch herkömmlichen Samen verunreinigt wird, oder der Biobauer, der genveränderte Bestandteile in der Ernte findet.

Die Kommission will, dass die Mitgliedsländer ihre Erfahrungen über wirksame Methoden zur Artentrennung austauschen und gesetzliche Vorschriften auf nationaler Ebene festlegen.

Solche Zurückhaltung ist ungewöhnlich. Normalerweise gelangen die Kommissare selten von selbst zu der Erkenntnis, dass ein Problem bei den Mitgliedsstaaten besser aufgehoben ist. Wahrscheinlicher ist, dass Agrarkommissar Fischler sich an der heiklen Haftungsfrage nicht die Finger verbrennen will.

Denn schon jetzt überziehen Biotech-Firmen konventionelle Bauern mit Milliardenklagen, weil sie unfreiwillig ihr Saatgut verwenden oder Gentech-Saatgut unwissentlich mit ihren konventionellen Feldern verunreinigt haben. „Angesichts der Schwierigkeit, eine Verbindung zwischen Handeln und Schaden herzustellen, könnte ein gemeinschaftlicher Fonds, der mögliche Verluste ersetzt, die Lösung sein“, heißt es in Fischlers Papier.

Die Biobauern werden begeistert sein. Wenn ein Nachbar sich entschließt, künftig bei Monsanto oder Aventis CropScience einzukaufen, müssen sie um ihre Glaubwürdigkeit fürchten. Und dann sollen sie auch noch für einen Haftungsfonds berappen, der einen Schaden ausgleichen soll, der wohl nicht mehr gutzumachen ist.