Kulturhauptstadt im Kasten (12)
: Die Debatte zur Bremer Bewerbung. Heute: Nils Aschenbeck, Werkbund Nord

An ungewöhnlichen Orten suchen

Bremen möchte „Kulturhauptstadt Europas“ werden. Aber wie? In unserer Serie beziehen Kulturschaffende und Entscheidungsträger Position. Heute: Nils Aschenbeck, Vorsitzender des Werkbundes Nord

Natürlich besitzt Bremen eine lebendige Kulturszene, natürlich war die Van Gogh-Ausstellung ein fulminantes Ereignis, ohne Zweifel ist die Weserburg nicht nur topographisch ein herausragendes Museum. Doch die Summe der kleinen und großen Häuser sowie der spektakulären Events rechtfertigen noch lange nicht den Anspruch Bremens, Kulturhauptstadt zu werden. In anderen Städten ist die Summe der Events immer noch höher.

Bremen muss, um als Kulturhauptstadt neben den Metropolen Gehör zu finden, einen eigenen Kulturbegriff entwickeln, der zu der Stadt passt. Bremen muß nach Innen gucken, auf die ureigenen Qualitäten, um sich selbstbewusst und erfolgreich nach Außen darstellen zu können. Doch genau dieser Blick auf das eigene Selbstverständnis fällt den Bremern heute schwer. Die bremische Identität wurde in den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs verschüttet – und wartet auf ihre Freilegung.

Noch vor 70 Jahren sagte der Bremer stolz „Ich bin Bürger“. Diese drei Worte waren umgeben von einen Hof der Bedeutungen. „Ich bin Bürger“ erzählte von Schiffbau, von Kunstverein, von Kaffee, von den Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk, von Tabak, vom Norddeutschen Lloyd, von Bürgerpark usw. „Ich bin Bürger“ war ein breites kulturelles Bekenntnis.

Wie findet Bremen zurück zu diesem einmaligen kulturellen Bewusstsein, zum Selbstbewusstsein, zur Identität? Es macht Sinn, den Motor der bremischen Geniestreiche zu betrachten: den Widerspruch zwischen lokaler Isoliertheit, die an den Mauern der Stadt endete (und heute etwas weiter zu fassen wäre), und grenzenloser internationaler Orientierung.

Um dieses widersprüchliche Bremen-Selbstbewusstsein mit einem Beispiel zu belegen, sei an Ernst Grohne erinnert, der in den 1920er und ’30er Jahren das Focke-Museum leitete. Grohne umgab sich den ganzen Tag nur mit den alten Dingen der Stadt. Doch als er daran ging, ein eigenes Haus in Schwachhausen zu errichten, reiste er nach Stuttgart und Holland, um die modernste Architektur seiner Zeit zu betrachten. Er beauftragte anschließend den einzigen radikal-modernen Architekten der Stadt, Ernst Becker, der ein Haus im internationalen Stil, ein Haus ohne jede Erinnerung an die von Grohne ansonsten so geliebte Heimatkunst errichtete.

Grohne verkörpert den Widerspruch der Bremer zwischen Lokal und International. Die großen Kulturleistungen der Stadt entstammen diesem Widerspruch: der Kunstverein und die Kunsthalle, deren einstiger Leiter Pauli, fest eingebunden in lokale Freundeskreise, die umstrittenen französische Impressionisten nach Bremen holte; die Böttcherstraße, in der Ludwig Roselius Heimatkunst mit internationaler Marken-Propaganda verband; der Schnelldampfer Bremen, der bremische Raumkunst und Ingenieursleistung auf die Weltmeere brachte.

Aber auch nach dem Krieg gab es noch die typisch bremischen Kulturleistungen, für die das oben gesagte gilt, so das verwegene Projekt der Reformuni oder die erfolgreiche Pop-Sendung „Musikladen“, die nachhaltig Seh- und Hörgewohnheiten beeinflusste.

Bremische Kultur entstand und entsteht in der Regel dort, wo es die Kulturpolitiker am wenigsten erwarten, oftmals im Widerspruch zu herrschenden Moden. Um zu einer erfolgreichen Kulturhauptstadt-Bewerbung zu kommen, wird man nicht umhin kommen, an ungewöhnlichen Orten und zu ungewöhnlichen Zeiten nach der Kultur und nach den Kulturbedürfnissen in Bremen zu suchen.

Eine Kulturhauptstadt-Bewerbung hingegen, die womöglich von harmoniesüchtigen Marketingexperten entwickelt wird, die Kultur als Gericht klassischer Zutaten versteht, wird an der Enge ihres Kulturbegriffs und an ihrer Bremen-Unverträglichkeit nicht nur in Bremen scheitern.

Nils Aschenbeck