Ganztags lernen ohne Horte

Mit der Einführung der Nachmittagsbetreuung an Schulen sterben die Horte aus. Die Städte können sich beide Angebote nicht mehr leisten. Für arme Kinder ist das Angebot nach wie vor zu teuer

VON ANNIKA JOERES

Schulministerin Ute Schäfer (SPD) kann nicht das Ruhrgebiet gemeint haben, als sie am Montag sagte: „Die Horte müssen nicht geschlossen werden.“ In den Ruhr-Kommunen sieht das anders aus. Berufstätige Eltern werden in Zukunft auf Horte für ihre Kinder verzichten müssen: Mit der Förderung der Ganztagsgrundschulen bleibt für Horte in den meisten Städten kein Geld mehr übrig.

„Wir können uns nicht beides leisten“, sagt Klaus Herrmann von der Recklinghäuser Schulverwaltung. Noch in diesem Jahr werde einer der vier Horte geschlossen, in den nächsten Jahren die anderen drei. Für Herrmann aus der CDU-Stadt ist „der Schnellschuss der Landesregierung“ ein Rückschritt: Es gebe weniger BetreuerInnen, die Qualität in den Ganztagsgrundschulen sei schlechter. Deshalb habe sich Recklinghausen Zeit gelassen. Erst im kommenden September eröffnen sieben Ganztagsgrundschulen.

Die rot-grüne Landesregierung will bis 2007 rund 200.000 Ganztagesplätze an Grundschulen schaffen. Eltern können freiwillig entscheiden, ob sie das Angebot annehmen wollen. Die Kinder von 6 bis elf Jahren sollen in der Schule Mittag essen, nachmittags unterrichtsergänzend gefördert und bei den Hausaufgaben betreut werden. Auch Spielberiche und Entspannungsecken sind in den Schulen vorgesehen.

Brigitte Schumann, Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Bildung der NRW-Grünen, sieht in dem Konzept noch viele Mängel: „Sozial benachteiligte Kinder können sich die Ganztagsgrundschule nicht leisten.“ Allein das Mittagessen sei für viele unbezahlbar. In Essen hätten Eltern aus Kostengründen ihre Kinder wieder abgemeldet. Schumann glaubt auch nicht an die Zukunft der Horte: „Die Landesregierung will beide Formen zusammenzuführen.“

Seit diesem Schuljahr gibt es sieben Ganztagsgrundschulen in Essen. Die Zukunft der knapp hundert Horte ist ungewiss. „Zumindest bis 2005 bleiben sie erhalten“, sagt Essens Sprecher Stefan Schulze. Was danach komme, könne niemand sagen. „Es gibt nichts Konkretes.“

Auch in Oberhausen können Eltern nur rätseln: Die Stadt weiss noch nicht, ob sie die Horte für momentan 280 Kinder aufrecht erhalten kann. „Ich kann über die Ankündigungen von Ministerin Schäfer nur lachen“, sagt Manfred Przybylski, Bereichsleiter Schule in Oberhausen. Wenn das Ministerium die Horte wie angekündigt weniger subventioniere, müsse auch die Stadt aus den Projekten aussteigen. „Das Thema ist aber so brisant, dass niemand es diskutieren will.“ Seit September gibt es drei offene Ganztagsgrundschulen, das Interesse der Eltern sei aber wesentlich größer: Zu den Infoveranstaltungen an den Schulen kämen teilweise zweihundert Väter und Mütter, sagt Przybylski.

Nur Dortmund und Mülheim wollen für ihre Horte garantieren – zumindest bis 2007. In beiden Städten beschloss der Rat diese Laufzeit nach Protesten der Hort-NutzerInnen. „Wir fragen uns trotzdem ob es Sinn macht, zwei Systeme nebeneinander laufen zu lassen“, sagt Klaus Burgholz, Leiter des sogenannten „Familienprojektes“ für Ganztagsgrundschulen in Dortmund. Die SPD-Stadt ist Spitzenreiterin in ganz Nordrhein-Westfalen: Hier werden seit dem vergangenen Sommer knapp 1.700 Kinder bis 16 Uhr betreut, mehr als in jeder anderen Stadt.