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: Aus der Welt der Radsport-Giganten

Metzelei mit Magie

„Die Welt um ihn herum verschwand. Es gab kein Rad. Es gab keine Straße. Es gab keine Welt. Es gab ihn selbst nicht. Es gab nur die Fahrt. Ohne dass er es gemerkt hatte, war die Magie wieder da.“ Unverkennbar Will Ross, der ramponierte Ex-Profi, unverkennbar Greg Moody, für dessen Radsportkrimis Ross den Protagonisten abgibt. Einen Protagonisten nicht ohne Charme, der jedoch die meiste Zeit mächtig nervt mit seinem naiven, cholerischen Wesen, seinem Talent, ständig in allergrößte Schwierigkeiten zu geraten, und einem verhängnisvollen Hang zur Geistesabwesenheit. Ein Radfahrer, der zum Beispiel so häufig wie Moodys Held vergisst, dass Straßen gelegentlich Kurven aufweisen, würde im richtigen Leben wohl kein einziges Rennen durchstehen. Selbst im fiktiven Leben sind die Auswirkungen solcher Träumerei allerdings gravierend, was den Autor in eine verzwickte Situation bringt.

Greg Moody hat nämlich einen Fehler begangen, den Verfasser einer Romanserie tunlichst vermeiden sollten: Er hat seinen Helden zu schnell verschlissen. In den ersten Bänden „Tödliche Tour“ und „Mörderische Saison“ ist Will Ross nämlich noch ein zwar in die Jahre gekommener, aber doch vollwertiger Radprofi im Dienste eines europäischen Teams. Der Fahrradverrückte aus den USA absolviert die Frühjahrsklassiker – Paris–Roubaix gewinnt er sogar – und er nimmt an der Tour de France teil. Das gibt Moody reichlich Gelegenheit, seine Stärken auszuspielen: Einblicke in die Radsportszene zu eröffnen und in wohlgesetzte Worte zu fassen, was die Faszination des Radsports ausmacht – seine Magie eben.

In einer halben Saison verwickelt der Autor seine Figur jedoch in derartig viele schwere Stürze, Explosionen, Mordanschläge, Schießereien und andere Infamien, dass Ross schon im dritten Band kaum noch laufen, geschweige denn radfahren kann. In „Der Millionen-Dollar-Downhill“ ist er nur noch der schwer angeschlagene Begleiter seiner smarten, mountainbikenden und einer Mafiafamilie entstammenden Gattin Cheryl. Im zuletzt erschienenen „Albtraum in Denver“, wo er es mit einem verrückten Bombenbauer zu tun bekommt, muss er sich als Fernsehreporter durchschlagen. In Ermangelung eines Rahmens, wie ihn die europäische Radsaison bot, gerät die ohnehin oft hanebüchene Handlung zunehmend abstruser und kitschiger, außerdem neigt Moody leider dazu, ausgerechnet seine interessantesten Figuren rücksichtslos hinzumetzeln. Was bleibt, ist Will Ross, dessen tapfere Tapsigkeit und dickköpfige Impulsivität immer noch unterhaltsame Lektüre garantieren. Allein, die Magie – sie ist dahin.

Wer sich nach dem Ausflug in die fiktive Welt des Radsports lieber der realen widmen möchte, der kann zu dem im selben Verlag erschienenen Buch „Giganten des Radsports“ greifen. Ein Lexikon der bedeutendsten Pedaleure, 78 an der Zahl, jeder einzelne auf zwei bis drei Seiten mit oft beeindruckenden Fotos gewürdigt. Verdienstvoll insbesondere, dass nicht nur die großen Namen von Binda über Bobet, Coppi, Anquetil, Merckx bis Hinault, Induráin, Ullrich und Armstrong vertreten sind, die jeder Interessierte ohnehin kennt. Von Vittorio Adorni bis Joop Zoetemelk werden auch viele Speichenheroen porträtiert, die ihre großen Siege nicht bei der Tour, sondern beim Giro d’Italia feierten, die bei Weltmeisterschaften reüssierten oder bei den Klassikern.

Eugène Christophe etwa, „der alte Gallier“, der seinen größetr Triumph 1910 bei Mailand–San Remo feierte, Berühmtheit jedoch dadurch erlangte, dass er während der Tour 1913 am Torumalet in einer Schmiede persönlich seine gebrochene Gabel reparierte. Leute wie Walter Godefroot, der nie an seinem belgischen Landsmann Eddy Merckx vorbeikam. Antonin Magne, zweimal Toursieger in den 30er-Jahren, der als Erster im Vorfeld ganze Bergetappen abfuhr, so wie es heute Lance Armstrong zu tun pflegt. Rik van Looy, der belgische „König der Klassiker“, Rudi Altig, Hennes Junkermann, Didi Thurau, denen der große Coup bei der Tour verwehrt blieb, Tom Simpson, der Dopingtote vom Ventoux, oder Roger Rivière. Der schien auf dem besten Weg, einer der größten Radfahrer aller Zeiten zu werden, stürzte jedoch bei der Tour 1960 in eine Schlucht und verletzte sich so schwer, dass er nie wieder Rennen fahren konnte. Insgesamt ein informatives und unterhaltsames Kaleidoskop von hundert Jahren Radsport, und im Gegensatz zu Greg Moodys Romanen ganz ohne Schusswunden. Zumindest, wenn man von Greg LeMond absieht, dessen Jagdunfall Will Ross auch nicht besser hinbekommen hätte. MATTI LIESKE

Greg Moody: „Albtraum in Denver“. Delius-Klasing 2002, 14,90 €ĽJean-Paul Ollivier: „Giganten des Radsports“, Delius-Klasing 2003, 22,90 €