Virtuelle Balz

Zum Klischee geronnene Selbstdarstellungen: Zeichnungen von Ingrid Beckmann in der Kunsthalle

Kunst, die besondere Facetten des Alltags sichtbar machen will, bedient sich oft der Methode der Übertragung in andere Räume und Medien. So kommt auch eine ästhetische Reflexion zu Internet-Chats in die hiesige Kunsthalle: als Zeichnung, als Lesung, als Projektion. Die Hamburger Künstlerin Ingrid Beckmann zeigt seit Sonntag in der Reihe „Standpunkt“ ihre multimediale Bearbeitung der erotischen Selbstentwürfe, wie sie im Weltnetz massenweise elektronisch verbreitet werden. Phantasien, die als scheinbar intimes Verlangen paradoxerweise dem anonymen Netz-Medium anvertraut wurden, zitiert sie nun eindeutig zugänglich über Lautsprecher und Großprojektion.

Doch voyeuristische Freude will bei diesen verbalen Ready-mades nicht aufkommen: Die Satzbruchstücke der individuellen Wünsche entpuppen sich bei näherem Hinsehen als erstaunlich wenig privat, sie sind von ziemlich allgemeiner Klischeehaftigkeit, sie sind in doppeltem Sinne des Wortes eben Projektionen. Aus einem ja nicht zu bestreitenden emotionalen Zusammenhang gerissen, scheinen die Zitate schleifenförmig mit der Scheinwelt von Vorabendserien verbunden: „Was ist der Sinn des Lebens? – Uns zu unterhalten!“ Und das funktioniert eben von „superschön“ bis „megawürg“.

Schon die einen in manchen Chat-Rooms vorgegebenen Fragenkatalog abarbeitenden Selbstbeschreibungen konstruieren kontaktorientierte Persönlichkeitsbilder, die nicht zwingend mit der Realität übereinstimmen müssen. Auch die Fotos, mit denen sich die netzaktiven Singles zusätzlich zu solcher verbaler Präsentation attraktiv darstellen wollen, sind nicht frei von kollektiven Posen.

Gerade dafür interessiert sich Ingrid Beckmann als Zeichnerin. Sie übersetzt die lockend gedachten fotografischen Bildvorlagen auf hellblauem, den Bildschirm analogisierendem Bildgrund. Dabei erhalten die zwölf gezeichneten Frauenporträts dann zugleich etwas modisch Schickes, auf der anderen Seite aber auch etwas haltlos Verlorenes.

Es ist nicht notwendig, diese Art zu zeichnen zu mögen, es ist aber eine Kunst, die funktioniert. Die Tuschblätter sind in ihrer Reduktion auf wenige Striche gekonnt plakativ und passen sich mit einer zuletzt in der Kunst des Pop gefeierten Oberflächlichkeit der Trivialität ihres Themas an – wie schon in früheren Arbeiten Ingrid Beckmanns den typischen Anmutungen der Magazin- und Modewelt. Hajo Schiff

Ingrid Beckmann – Ich will dich spüren, meine Blume, Reihe Standpunkt, Raum 018 + 019, Hamburger Kunsthalle; Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr; bis 12. 4.