berliner szenen Abgebrannt

Harley ohne Koks

Andy geht mehrere Minuten vor den großen Schaufenstern des Möbel Olfe auf und ab. In der Hand hält er Dosenbier und Plastiktüte. Er schaut durch seine dicken Brillengläser und durch die Fensterscheiben, suchend, sich wieder abwendend. Als wäre es eine schwere Entscheidung, betritt Andy schließlich den Raum. Andy hat lange blonde Haare und trägt eine schwarze Wildlederjacke, mit Fransen und Indianerverzierungen. Es ist so gegen ein Uhr. Blicke treffen sich, er kommt an unseren Tisch: „Hast du schon einen Morgenmantel?“.

Er hat einen, und den will er verkaufen. So einen asiatischen, mit Drachenstickereien auf dem Rücken. „Für Männer und Frauen“, sagt Andy. „Ich glaub ich habe nicht genügend Geld, aber zieh doch mal über!“, bitte ich Andy neugierig. „Ich glaub, du willst mich verarschen“, erwidert er etwas unsicher und stellt sein Kindl auf einem Barhocker ab. Dann zieht er das feine Stöffchen über seine Bikerjacke. „10 Euro. Super Preis.“ Er verknotet den Gürtel vor seinem Bauch und schaut an sich herunter. Aus seiner Plastiktüte zieht er nun eine blaue Arbeiterhose. Die will er mir noch umsonst dazugeben. „Die kannste auch umfärben“, sagt er mehrmals.

„Sorry, ich habe kein Geld dabei.“ Andy scheint kurz zu überlegen, dann erzählt er mir von seiner Harley, deren Vorderrad leider letzte Woche für Koks und Heroin draufging. Weil es ja was zu feiern gab: Sein Sohn wurde geboren und er ist nicht HIV-positiv, so wie Andy und seine Frau.

Im Möbel Olfe läuft immer noch der „Dirty Dancing“-Soundtrack. Gegen vier kommt Andy noch einmal vorbei. „Wie heißt du noch mal? Hast du einen Euro? Der fehlt mir noch. Ich muss meine Harley tanken, dann hau ich ab. Ich brenn durch, kein Bock mehr.“ LAURA EWERT