Die Boot ist voll

Von wegen Krise: Auf der „boot 2004“, der 35. Internationalen Bootsausstellung in Düsseldorf, präsentiert sich eine boomende Branche ihren gut betuchten Kunden. Deren Luxusyachten sind die Magneten der Messe – obwohl die meisten Besucher sie nicht einmal betreten dürfen

Schon seltsam: Das ganze Land hat Angst vor einer Rezession . . .. . . und die Wassersportversorger staunen über volle Auftragsbücher

AUS DÜSSELDORF JAN FREITAG

Für den halben LuxusLeg ich mich nicht krummNur der ScheichIst wirklich reich Ideal, Deine blauen Augen, 1980

„Mit Luxus gegen die Krise.“ So übertitelte eine Tageszeitung unlängst ihren Bericht über das teuerste Seniorenheim in Hamburg. Luxus ist in schlechten Zeiten Labsal für wund gesparte Seelen. Toilettenpapier gibt's in Luxuseditionen, Hochglanzmagazine schießen wie Börsenverlierer aus dem Boden, CK und Gucci kommen mit der Produktion kaum nach, Kulturstaatsministerinnen preisen den Überfluss als kulturellen Heilsbringer und Autos gehen erst dann weg wie warme Semmeln, wenn Sie im Hochpreissegment liegen. Beispiel gefällig? Der Maybach, die Vorstadtvilla der Straße, war lange vor seiner Präsentation 2002 ausverkauft. Für ein Jahr.

Maybach? Klaus Ehlert Meyer lächelt müde. Da stimmt die Relation nicht, antwortet der Chef des Deutschen Boots- und Schiffbauer-Verbands (DBSV) auf die Frage, ob denn die Edelkarosse aus dem Hause Daimler so etwas wie eine Luxusyacht auf Rädern sei. „360.000 Euro sind das Zehnfache des Preises für einen guten Mittelklassewagen“, rechnet der oberste Interessenvertreter von 430 heimischen Werften vor. Übertragen auf die Yachtbranche läge das Zehnfache eines Durchschnittsmodells bei 1,5 Millionen – „das ist ja gar nix!“

Klaus-Ehlert Meyer sagt Sätze wie diese ohne Scham. Schließlich hängt sein Handwerk wie kein anderes am Kanthaken der Besserverdienenden bis Reichen. Und er sagt solche Sätze gerade an diesem Ort zu dieser Zeit auf sicherem Terrain: Meyer sitzt auf der „boot 2004“ – auf der weltgrößten Messe für Freizeitvergnügen im, am, auf und unter Wasser, noch bis zum Sonntag in Düsseldorf.

Mehr als 300.000 Besucher wollten die Angebote von 1.652 Ausstellern aus über 50 Ländern im Vorjahr sehen. Und für die 35. Auflage des maritimen Großereignisses im gänzlich unmaritimen Rheinland werden kaum weniger erwartet. Der Auftaktsonnabend erinnert an Weihnachtseinkäufe auf den letzten Drücker. Es gibt zwar mehr Ruhezonen, mehr Bistros, also weniger Ausstellungsfläche als zuletzt, aber die Auslastung liegt nur knapp unterm Vorjahresniveau. Schon seltsam: Das ganze Land ächzt unter Rezessionsängsten – und die Wassersportversorger staunen über volle Auftragsbücher. Nur eine Insolvenz verzeichnete der DBSV 2003. „Wir sind angesichts der Gesamtlage mit einem blauen Auge davongekommen“, gibt sich Meyer dank kräftiger Zuwächse hiesiger Bootsbauer und Importeure bescheiden.

Bescheidenheit. Auf der „boot“ eine eher nachrangige Wesenseigenschaft. „Links und rechts befinden sich zwei Jetskis, in der Mitte ist die Garage. Fürs Beiboot.“ Giovanni Ben Toumi ist bei seinen Führungen über die „Mangusta 108'“ noch etwas nervös. Kein Wunder – der Mittzwanziger arbeitet erst seit gut einem Jahr für die Yachtreederei Rodriguez, und jetzt präsentiert er in seiner Heimatstadt das Sahnestück der „boot“: ein Traum in Hightechplaste, Wurzelholz und Edelmetall, eine 33 Meter lange Motoryacht der Extraklasse, das teuerste Objekt vor Ort, Prunksucht für 11 Millionen Euro. Ohne Steuern, dafür mit Polstern von Versace, Flachbildschirmen von Bang & Olufsen und 800 Liter Dieselverbrauch pro Stunde. „Semi-Custom made“, fachsimpelt der bildhübsche Verkäufer in gedeckter Kleidung über das längst verkaufte Prachtstück und zeigt sein gewinnendstes Lächeln. Die Kunden bestimmen die Einrichtung. Und wenn sie, wie in diesem Fall, auf Blattgoldintarsien im Badspiegel und mundgeblasene Kristallvasenensembles stehen – kein Problem. Zumindest nicht für jene fünf gut bestallten Hobbynautiker pro Jahr, die sich das Späßchen gönnen.

Auf Messen wie der „boot“ fühlen sie schon mal vor, vereinbaren Termine auf den Werften, zücken Visitenkarten, trinken Espressi in eigens eingerichteten Glas-Stahl-Lounges mit ledernem Gestühl und Hostessen in fußfeindlichen Highheels. Gekauft wird später. Der Pöbel steht derweil eine Etage höher und träumt. Wie im Amphitheater säumen hunderte von Schaulustigen den Messestand der französischen Edelkonstrukteure und knipsen mit Digitalkameras, für deren Preis man keine zwei Meter Mangusta-Tampen kriegt. „Da gehen wir aber nicht rauf“, beschließt ein Neuntagebartträger in Segelschuhen. Und selbst wenn er wollte – sie würden ihn nicht lassen. Nur nach Voranmeldung, heißt es am Eingang. Gäste erhalten zum Schutz der Planken Überziehpuschen.

Nebenan kanalisieren „Check-In“-Counter des Yachtbauers „Sunseeker“ den Besucherstrom in „VIP & Owners“ und „Foreign Visitors“, während vorm Betreten der „Oyster 82“ gar ein Formular mit Adresse, Beruf und Zweck des Decksbesuchs auszufüllen ist. Nach der Bürokratie aber stellt sich ein eleganter Kosmopolit im Zweireiher als Jean-Pierre vor und führt die Gäste durchs größte Segelschiff der Messe. „Warum hier noch ein zweiter Salon ist?“, fragt er und zuckt mit den Schultern. „Weil wir Platz dafür haben.“ Alles Weitere in Stichworten: 25 Meter Länge (über Wasser), fünf Millionen Euro (Grundpreis), Küche mit Waschmaschine und Trockner (selbstredend), Interieur eierschalenfarben (Kundenwahl), bitte keine Fotos! (Kundenbitte). Superyachten sind in der Regel bereits verkaufte Auftragsarbeiten und werden für die Messe gern mal aus den seichten Wellen Saint Tropez’ für neun Tage an die Düssel entliehen.

Nun soll keineswegs der Eindruck entstehen, es gehe bei den 1.650 Ausstellern aus 50 Ländern auf 215.000 Quadratmetern nur um Millionenbeträge. Da ist schon die Währungsumstellung vor; die meisten Boote liegen – zumeist deutlich – unter 500.000 Euro. Schnäppchen für die Hälfte inklusive. Und bereits bei einem Zwanzigstel solcher Summen heißt es: Willkommen im Kapitänsclub! Außerdem gibt es ja noch die Hallen für den echten Sport, für Surfer, Taucher, Ostseeskipper, für Angler, Paddler, Seglergemeinschaften, für Familien, Singles und Senioren, für Kanuten, Wattwanderer und Ästheten. Nur ein paar Schritte vom tropenhölzernen Hotelsuitenambiente rund ums sündige Großaggregat entfernt, wähnt man sich in der Kissenabteilung dänischer Bettenlager oder bei Walmart. Der Isarkapitän kauft sich hier neue Fender, die Nordseeseglerin die chromglänzende Gewindewinsch und in den Funsportzonen gibt's zur HipHop-Musik sogar Grabbeltische.

Die Messe ist eben auch eine Verkaufsveranstaltung, und in den meisten der 17 Hallen dominieren die Plastiktüten, nicht die Handtaschen von Luis Vuitton. Aber die 360 Werften und Importeure prägen nun mal das Motto. „Große Yachten“, heißt es in der Selbstdarstellung, „waren schon immer Markenzeichen und Attraktionen der boot-Düsseldorf.“ Dann ein verstohlener Nachsatz: „Auch wenn die schönen Schiffe der Luxusklasse nur für wenige erschwinglich sind.“ Dennoch richte sich die Messe natürlich an alle Wassersportfreunde.

Wie zum Beweis darf das deutsche Armenhaus Mecklenburg-Vorpommern heuer die Auftaktveranstaltung ausrichten, um das Thema der Bundestourismuszentrale „Faszination Wasser“ zu verkünden. Sage noch einer, die „boot“-Macher denken nicht an die Kleinen.

Immerhin beweist das dünn besiedelte Flächenland mit der schnell wachsenden Tourismusbranche, wie weit der Begriff Verkaufsmesse zu fassen ist. Zwei Schiffe weit im sechsstelligen Eurobereich hat das Yachtzentrum Greifswald schon am Nachmittag verhökert. Das überrascht sogar den erfahrenen Verkaufschef der bundesweit zweitgrößten Yachtwerft. Die größte hat übrigens in Würzburg ihren Sitz. Merkwürdig. Bayern verkaufen die meisten Yachten, Rheinländer machen die größte Schiffsmesse, Europas Bootsbauer knacken 2003 die Drei-Milliarden-Euro-Umsatzmarke, an einem Stand für Satellitennavigation läuft auf riesigem LCD-Screen „Matrix reloaded“ und Segler haben bis zu fünf Fernseher. „Man versehe mich mit Luxus“, hat Oscar Wilde mal geschrieben, „auf alles Notwendige kann ich verzichten.“ Beim gemeinen Volk klingt das anders, dezenter, vielsprachig. Auf Sächsisch etwa: „Mal sehen, mal staunen, mal träumen.“ Für die Masse muss das reichen.