Traurige Tropen

Gestern ging die RTL-Show „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“ zu Ende. Alle fanden die Sendung doof. Dabei war sie in Wirklichkeit staatstragend!

VON DIRK KNIPPHALS

So. Ist doch zum Beispiel interessant, wie das mit den Kakerlaken gelaufen ist. Hätte irgendjemand noch vor zwei Wochen gedacht, dass man sich in diesen Tagen bevorzugt über Schaben unterhalten würde, die einem Boulevardstar übers Gesicht laufen? Oder über eine Spinne, die einem halb vergessenen Schlagersänger über die Schutzbrille krabbelt? Wohl kaum. Und doch: Gestern ging also die RTL-Sendung „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“ zu Ende; und man wird sagen dürfen, dass sie zuvor ein paar Tage lang allpräsent auf allen Kanälen war.

Boulevardzeitungen, Feuilletons, Frauenzeitschriften, medienkritische Kulturmagazine – sie alle wurden von der Show gefasst. Zu beobachten gab es dabei eine Medienmaschine, bei der alle Rädchen ineinander griffen und ihre jeweiligen Rollen bravourös spielten. Das Privatfernsehen gab den Anlass her. Die Bild-Zeitung nahm sofort den Ball auf und orchestrierte alle möglichen Stadien der Empörung. Medienkritische Fernsehzuschauer mögen sich noch so sehr über die niederen Instinkte der Zuschauer, die hier angeblich erregt wurden, aufregen – moralischer als die Bild können sie gar nicht gewesen sein. Hier hatte alles Medienkritische schon schwarz auf weiß gestanden. Selbst die Geheimverträge der beteiligten Stars deckte die Boulevardzeitung auf.

Als Nächstes traten die Intellektuellen auf. Tapfer kramten sie ihren Rousseau oder ihren Levi-Strauss („Traurige Tropen!“) aus den Bücherregalen und hatten auch etwas zu sagen. Mahnende Worte, die Sache jetzt nicht so hoch zu hängen, gab es zwar auch. In der Wochenzeitung Freitag stand etwa der kluge Satz: „Tatsächlich scheint immer mehr die Ablehnung einer Sendung ein unheimlich starkes Motiv zum Anschauen derselben zu sein.“ Als Generallinie blieb es aber bei orchestrierter Empörung. Alle fanden sie die Sendung doof, und alle sprangen auf den Zug um die Sendung auf. Den Widerspruch darin thematisierte aber keiner.

Wer sich in den avancierten Gesellschaftstheorien umsieht, kann nun allerdings auf Ansätze stoßen, mit denen man solche multimedialen Maschinen zur allgemeinen Themenerzeugung geradezu toll finden muss. In Niklas Luhmanns Studie „Die Realität der Massenmedien“ heißt es: „Tatsächlich beruht die Stabilität der Gesellschaft in erster Linie auf der Erzeugung von Objekten, die in der weiteren Kommunikation vorausgesetzt werden können.“

Der Soziologe meint damit, dass unsere Gesellschaft keine Konsense braucht zu ihrem Zusammenhalt oder gemeinsame Werte, sondern schlicht Dinge, über die man miteinander sprechen kann. Und die Erzeugung solcher Gesprächsthemen hat doch im Fall der Dschungel-Show ganz hervorragend geklappt! Alle redeten über die Kakerlaken, die Tabubrüche, die Überschreitung der Ekelgrenzen oder schlicht über Daniel Küblböcks Zickigkeiten. Insofern haben unsere Massenmedien ihre Aufgabe in der Gesellschaft wunderbar erfüllt. Luhmann zufolge klappt so etwas sowieso am besten, wenn die Medien Konsense in Frage stellen und mögliche Dissense erzeugen – damit man darüber reden, sich empören oder sich auch nur verarscht vorkommen kann. Insofern war die Dschungel-Show geradezu staatstragend.

Ganz nebenbei: Die Show war auch eine Sendung, die gar nichts anderes sein wollte als selbstbewusstes Trash-Fernsehen. Unsereiner hat sie zuletzt aus diesem Grund sogar ganz gern gesehen. Aber das ist eine andere Geschichte.