Ende der Dauerdemonstration

Mit dem heute endenden Weltsozialforum hat die globalisierungskritische Bewegung den Brückenschlag vollzogen: Sie ist in Asien angekommen

AUS BOMBAY HANNES KOCH

Wer etwas erfahren will über das Weltsozialforum 2004, muss sich auf die zentrale Straßenkreuzung des alten Bombayer Fabrikgeländes stellen. Hier, wo das Treffen der Globalisierungskritiker stattfindet, steht ein aus Holz gezimmertes Podest mit mehreren extrem starken Lautsprechern. Niemand im Umkreis von dreihundert Meter kann sich seinen Durchsagen entziehen: „Die Delegierten aus Mexiko treffen sich um 14.30 Uhr vor Halle 4“, hören tausende, darunter auch einige Mexikaner.

Der erhöhte Standpunkt gewährt aber auch einen guten Überblick über das Forum. Dabei muss sich der weiße Mitteleuropäer eingestehen: Viele von uns scheint es auf dieser Welt nicht zu geben. Drei Viertel der Besucher des Gipfels sind dunkler Hautfarbe oder haben asiatische Gesichtszüge. Eigentlich kein Wunder – Bombay liegt in Indien. Trotzdem stimmt diese Wahrnehmung nicht damit überein, was man aus der Perspektive von Seattle, Genua oder Cancún als globale Bewegung wahrzunehmen gewohnt ist. Das Gefühl der kulturellen Vereinzelung der christlichen Minderheit reicht so weit, dass Europäer und Latinos einander warme Blicke zuwerfen, um ein wenig Heimatgefühl hervorzurufen.

Jeder Truppe ihr Problem

Die tägliche Dauerdemonstration über die Hauptstraße des Forums bietet ein Kaleidoskop asiatischer Lebenslagen. Indigene aus Nordindien verwandeln die Flaniermeile in einen stundenlangen Rhythmus-Workshop – und wollen einem auch gleich ihre Trommeln zum Kauf aufschwatzen. Die Bauern aus dem ostindischen Armenhaus Bihar führen nur Plakate in einer fremdländischen Kringelschrift mit – auch ihr Anliegen ist zweifellos wichtig. Es defilieren ausgelassene Schwule aus Delhi mit roten Haaren hinter Parolen rufenden Stahlarbeitern aus Südkorea, die Gesichter machen, als wollten sie sich gleich mit Benzin übergießen und anzünden.

Das Weltsozialforum 2004 ist der Ort, an dem die Bedürfnisse der drei Milliarden Menschen Asiens in der globalisierungskritischen Bewegung ankommen – und diese in Asien. Die neue Linke ist dadurch globaler geworden. Was aus der neuen Vielfalt wird, lässt sich bislang kaum abschätzen. Einen Vorgeschmack darauf, dass es zwischen den Globalisierungskritikern aus Europa und Asien auch zu ein paar Problemen kommen könnte, brachte die Debatte um den Widerstandsaufruf der indischen Schriftstellerin Arundhati Roy. Diese hatte in ihrer Eröffnungsrede vor 50.000 Menschen verlangt, die globalisierungskritische Bewegung solle „selbst zum Widerstand im Irak werden“ – und damit einige Irritationen gerade bei den sich als „gewaltfrei“ defininierenden deutschen Aktivisten ausgelöst.

Möglicherweise war Roys Ausspruch symbolisch gemeint oder auch der radikaleren Diktion des ehemals sozialistischen und blockfreien Indien entlehnt. Die Beschäftigung mit dem Irakkrieg bildete jedenfalls das inhaltliche Zentrum des Forums. Dank Intervention vor allem des Wissenschaftlers Walden Bello aus Bangkok definiert sich die Bewegung nicht mehr in erster Linie über Widerstand gegen Neoliberalismus. Neben ökonomischen und sozialen Themen spielt das Organisieren einer globalen Kraft gegen die US-Hegemonie eine ebenso große Rolle. Deshalb bezeichnen die Teilnehmer die Gegenwart als Zeitalter der „imperialistischen Globalisierung“. Für Bello ist das „wichtigste Ziel“, dass die Amerikaner „möglichst schnell aus dem Irak verschwinden“.

Ein Aufruf genügt nicht

Bei praktischen Schritten in diese Richtung ist das Forum freilich nicht weit gekommen. Der Stein, den Roy am ersten Tag ins Wasser warf, hat keine Wellen ausgelöst. Sie schlug vor, zwei Konzerne zu definieren, die vom Irakkrieg profitieren, um diese dann „dichtzumachen“. Bis zum Ende des Forums scheint sich aber niemand Gedanken gemacht zu machen, wie diese Anregung in die Tat umsetzen sei.

Im Entwurf zum „Aufruf der sozialen Bewegungen“, der am Ende jedes Weltsozialforums veröffentlicht wird, heißt es, man unterstütze das „Recht des irakischen Volkes auf Selbstbestimmung und Reparation der Kriegsschäden“. Die Bewegung „jedes Landes“ habe das Recht auf ihre eigene Taktik. Gemeinsam allerdings mobilisieren die Globalisierungskritiker zu einem „Internationalen Tag gegen den Krieg und die Okkupation des Iraks durch die USA“. Termin ist der 20. März diesen Jahres. Zudem soll es einen Aktionstag gegen die Welthandelsorganisation WTO geben – im Herbst in Hongkong.

Das Beispiel Irak zeigt: Die weltweite Bewegung hat mittlerweile eine Breite erreicht, die es nicht leicht macht, sich auf gemeinsame Aussagen und Aktionen zu verständigen. „Für uns heißt Globalisierung gerade etwas anderes“, sagte Sven Giegold von Attac Deutschland gestern in Bombay. In Europa stehe der „Sozialabbau“ im Vordergrund und gegen den gebe es ebenfalls Aktionstage: am 2. und 3. April 2004.