Wohnen auf der wilden Wiese

Recycelte Häuser, bunt bemalte Zirkuswagen und jede Menge selbst gezimmerter Anbauten – „auch so kann man wohnen“, sagen die Lesumer Ökodörfler. Und verzichten für die Gemeinschaft auf dem Experimentierfeld gerne auf ein wenig Komfort

Nicht alle, die auf der wilden Wiese siedeln wollen, haben genügend AusdauerEin Jahr Kündigungs-frist für den Platz – „da baust du nicht für die Ewigkeit“

taz ■ Nein, Betonwände, Gegensprechanlagen und Zentralheizung gibt es hier nicht. Auch Car-Ports, Handtuch-Gärtchen und Bürgersteige wird man im „Ökodorf Lesum“ westlich von Burg vergeblich suchen. Dafür gibt es Kompost-Toiletten, Weidenhecken, Badehäuschen und eine noch nicht ganz fertig gestellte Gemeinschaftsbaracke aus Holz und Lehm. Schlüsselfertig wohnen? „Wenn du hier ’ne Wasserleitung willst, musst du erst mal buddeln“, sagt Klaus Möhle, grinst und schiebt einen neuen Scheit in den Bullerofen.

Möhle, Chef der Bremer Grünen, Ex-Bürgerschaftsabgeordneter und bei den Wahlen im Mai auf Platz 4 der Liste, ist mit 50 Jahren der Älteste im Dorf und Vorsitzender des Vereins Grüner Weidedamm. Der hat die knapp zwei Hektar große Wiese auf der Südseite der Lesum, zehn Fahrradminuten vom Bahnhof Burg entfernt, vor sechs Jahren vom Senat gepachtet. In den 70ern, als Bremen noch glaubte, Boom-Town zu sein, war hier ein Friedhof für die Millionenstädtler geplant; das von Fleeten durchzogene Gelände wurde meterhoch mit Sand aufgeschüttet. Heute schlagen nebenan die Golfer ihre Bälle über die Greens und die Ökodörfler profitieren vom sumpffreien Boden.

Als Mitte der 90er Jahre neben dem Bürgerpark die Bagger anrückten und am Weidedamm das Neubaugebiet aus dem Boden stampften, wollten etwa 50 BewohnerInnen des ehemaligen Parzellengebiets an die Lesum umsiedeln. Bleiben aber durften nur die Ökos. 32 leben heute hier: Handwerker, Studierende, ein Händler, ein Sozialpädagoge, ein Gärtner, eine Theater-Schneiderin, eine Heilpraktikerin, die meisten so um die 30 Jahre alt. Für vier weitere ist noch Platz.

Ein Feldweg, stabil genug, damit die Feuerwehr darüber fahren könnte, führt im Kreis durch die Wiese, rechts und links davon stehen die Unterkünfte. Meist sind es Bau- oder Zirkuswagen, bunt bemalt und oft mit An- und Aufbauten versehen, so dass sie kaum mehr von festen Hütten zu unterscheiden sind. Möhle indes gehört zu der Minderheit der DorfbewohnerInnen, die sich ein „richtiges“ Haus gebaut haben – in Eigenarbeit. Die tragenden Balken, den Stahlrahmen, der sie am Boden zusammenhält, und der Dachstuhl stammen von einer Notunterkunft, die nach dem Krieg auf einer Werft in Lesum stand. Möhle hat zwischen den Trägern Wände aus Lehm und Holzschnitzeln hochgezogen, gebrauchte Fenster eingesetzt und einen Vorbau angefügt. Ein paar tausend Euro hat der gelernte Heizungsbauer in sein Eigenheim investiert, ein gutes halbes Jahr gewerkelt bis zum Einzug. Fertig war damals noch längst nicht alles. Möhle realistisch: „Das hört nie auf“. Sein Nachbar hat gar ein komplettes Kaisenhaus vom Weidedamm in kleine Stücke zerlegt und an der Lesum neu aufgebaut – diesmal mit Lehm und Stroh anstatt mit Asbest gedämmt.

Nicht alle, die gerne auf der wilden Wiese siedeln würden, haben so viel Ausdauer, sind bastelbegabt genug, um das Haus ihrer Träume wirklich fertig zu stellen. Mitten auf der Wiese etwa steht ein halbfertiger zeltartiger Phantasie-Bau. Der Wind hat die Plastikplanen zerfetzt, die eigentlich das Dach abdichten sollten, die bunten Fliesenmosaike auf dem Boden sind von Lehm überdeckt. Vom Fundament bis zum Dachfirst alles alleine zu organisieren – „das überfordert einige“, weiß Möhle.

Oliver hat erst gar nicht angefangen mit dem Hüttebauen. „Mir wär das zu viel Aufwand“, gibt er zu. Der 32-jährige Landschaftsgärtner wohnt seit drei Jahren in einem Zirkuswagen. 20 Quadratmeter auf vier Rädern, unterteilt in Küche, Schlafecke und „Kaminzimmer“ – Oliver ist zufrieden: „Ich hab eine Drei-Raum-Wohnung“. Zum Baden stapft er über die Wiese bis zur gemeinschaftlichen Badehütte, wo ein flaschengasbefeuerter Durchlauferhitzer für warmes Wasser in der Wanne sorgt. Komfortverzicht? „Ist nicht das Thema“, sagt Oliver, und der Moment, in dem er sich danach sehnte, einfach den Heizkörper aufzudrehen, „der war nie da“.

Außerdem kommt jetzt der Sommer. Und dann spielt sich das Leben im Ökodorf sowieso vor allem draußen ab, auf den Terrassen, den Wiesen, am Lagerfeuer. Oliver wird dann ein Tipi als viertes Zimmer aufbauen.

Offiziell gelten die Wohn-Konstrukte im Ökodorf als Behelfsbauten. 50 Quadratmeter Wohnfläche maximal darf sich jeder dort schaffen, Keller und mehrgeschossige Bauten sind nicht zulässig – höchstens ein etwas größer ausgebautes Hochbett. Alle zwei Jahre schaut die Bauaufsicht vorbei. Bei ihrem ersten Besuch auf dem Selbst-Bau-Gelände waren die PrüferInnen vom Bauamt Bremen-Nord „ein bisschen verzweifelt“, sagt Möhle. Ofenrohre mussten aus Brandschutz-Gründen in größerem Abstand zum Dach geführt werden, bei manchen Balkenkonstruktionen wiegten die Statiker die Köpfe. Probleme gab es trotzdem nicht. Möhle: „Das Risiko liegt auf unserer Seite.“

Ein Jahr Kündigungsfrist sieht der Pachtvertrag vor, den die Stadt mit den ÖkodörflerInnen geschlossen hat. „Da baust du nicht für die Ewigkeit“, sagt der Dorfälteste. Und betont gleich darauf: „Kündigen kann die Stadt nur mit einem guten Grund.“

Armin Simon