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: JULIANE PINSDORFF über die kryptische „Tagesschau“

Vorwissen isse deutsche Schprak

Fast zehn Millionen Deutsche verstehen die Welt nicht mehr – oder das, was die „Tagesschau“ ihnen darüber erzählt. Nach einer erschütternden Umfrage des Hamburger Gewis-Instituts für das Fachblatt TV Hören und Sehen ist 88 Prozent der Zuschauern unklar, was die Leute da im Fernsehen reden.

 Ist ja auch knifflig. Inflationsausgleich? Strukturveränderungen? Schlüsselzins? Leitzins? Scud-Rakete? Hä? Wie jetzt? Und warum schalten Abend für Abend wieder elf Millionen Menschen ein? Um bewegte Bilder zu sehen? Das fragt sich auch Bernhard Wabnitz, seines Zeichens Chefredakteur dieser Rätselstube: „Die Leute verstehen die Tagesschau, aber sie verstehen manche Begriffe nicht.“ Was daran liegen könnte, dass wir im Laufe unseres Lebens immer wieder mit neuen Begriffen behelligt werden. Konvergenz. Anti-Doping-Code. Acrylamid. Lufthoheit. Aids.

 Schon ist der Medienexperte Jo Groebel zur Stelle, will Abhilfe schaffen: „Die Sprache ist zu kompliziert“, konstatiert er und fordert kurze Sätze, die Abschaffung von Fremdwörtern und eine Kongruenz von Bild und Text. Müsse passe besser zusamme. Aber wie lässt sich eine UN-Resolution illustrieren? Verständlicher würde die „Tagesschau“, wenn in einem gaaaanz langsamen Laufband am unteren Bildrand fortwährend schwierige Begriffe erläutert würden. Hülfe womöglich. Denkbar wäre auch ein Glossar im Internet, wo erklärt wird, was sich an Unappetitlichem hinter so kryptischen Kürzeln wie BSE oder CSU verbirgt.

 Vielleicht liegt das Problem aber tatsächlich andernorts. Beim so genannten Vorwissen, das sich vom gewöhnlichen Wissen offenbar dadurch unterscheidet, dass es schon vorher da ist. Schon vor der „Tagesschau“. Vorwissen, das isse zum Beispiel deutsche Schprak. Und wo man den Knopf zum Einschalten findet. Abseits solcher bildungsbürgerlichen Ressentiments könnte das intellektuelle Gefälle zwischen „Tagesschau“ und den Tagesschauern aber auch darauf hinweisen, dass sich die Zuschauer nicht wirklich für die Welt interessieren – sondern für das milde Blau im Hintergund und den strammen Tusch zu Beginn der Sendung. Denn: Macht es uns glücklicher, wenn wir z. B. wissen, dass Gewis für „Gesellschaft für erfahrungswissenschaftliche Sozialforschung“ steht? Eben.