Definitiv mehr als cooler Rhythmus: Tigerbeat im Schlachthof
: Mit Licht geschrieben

Wie klingt es, wenn der Tiger brüllt? Wenn sich die Pranke zwischen sechs Starkstromsaiten verheddert? Klingt es so wie das neue Album der Hamburger Rockformation Tigerbeat? In der Tat halten viele das Quartett für das Wurzelextrakt schwitzender Rockenergie, für das heißeste Ding seit Jon Spencers schwarzem Seidenhemd und Jennifer Herremas riesigen Gürtelschnallen.

Das klingt natürlich alles auch ein bisschen kapriziös und langweilig: Auf vier Männer, die Rock‘n‘Roll schreien und ihre Musik Sophisticated Sexrock nennen, hat eigentlich niemand gewartet. Aber wir wollen nicht immer nur meckern: Tigerbeats Rock ist zwar längst nicht vom Himmel gefallen, nähert sich aber in seinen schönsten Momenten der explosiven Kraft der längst verblichenen Mucus 2. Rock‘n‘Roll retten, heißt ihn leben – mit kaltem Bier, durchschwitzten Oberhemden, einigen gekonnt schiefen Akkorden und allem, was sonst noch so dazugehört. Vor allem aber mit viel Herz und Haudrauf.

Aber jetzt wird alles anders: Gerade ist das zweite Album 13 Songs auf Buback Tonträger erschienen und zeigt die Richtung, in der es weitergehen soll. Tigerbeat wollen keine garagesken Genremusiker mehr sein – und viel mehr kommt nun zusammen, als man erwarten durfte: Synthiesounds und Streichersoul, Blues, Disco und Prog-Rock-artiges vermischen sich zu einem dampfenden, wuchernden Musikdschungel, in dem man gerne mal für eine Stunde verloren geht.

Songs, Songs, Songs: Da geht so viel rein – und Tigerbeat klingen am besten, wenn sie einfach machen, was ihnen gefällt, ganz ohne allzu sophisticated zu werden. 13 Songs ist ein Sprung mit, sagen wir mal, internationalem Format. Deshalb ist es auch gar nicht allzu sehr übertrieben, wenn sich Tigerbeat gerne mit Jon Spencers Blues Explosion oder Royal Trux vergleichen, denn auch bei ihnen scheint es immer stärker um die Dekonstruktion des Rock‘n‘Roll-Mythos zu gehen – denn nichts ist langweiliger als die hundertste deutsche Retro-Soulpunkband. Am Ende des Tages rettet ein Lied deine Seele, nicht nur ein cooler Rhythmus, sagen Tigerbeat. Und sie haben verdammt Recht.

Und das sieht gut aus: Ganz klein steht Tigerbeat auf dem Cover, darunter, als schwarze Schatten, die vier Musiker. Und darüber, mit Licht geschrieben, 13 Songs. Gebrüllt wird trotzdem auf dem Album, Wows, Uuuhs und Aaaahs in die Songs zu schreien gehört halt doch dazu, wenn der Tiger durch den Dschungel läuft. Sogar die überheblich hingeknallten Who-Gitarren.

Doch hinter, unter und über allem: enorme Präzision, ganz feine Chöre, dann elegische Gitarrenwände und ein Booklet wie aus einem geheimnisvollen Fantasybilderbuch. „Watch me glitter in the darkness before I vanish in the noise.“ Über den Lichtern von Hamburg galoppieren weiße Pferde durchs Bild und eine gespenstische Eule breitet ihre schützenden Flügel über der Band aus. Glimmende Düsternis, flirrende Nachtmusik, beinahe so gefährlich wie Gallon Drunk vor 15 Jahren. Definitiv mehr als cooler Rhythmus.

Marc Peschke

Sonntag, 21 Uhr, Knust im Schlachthof