Experiment in Moll

Inoffizielle Uraufführung in Kreuzberg: Die US-Gruppe Lambchop hat Murnaus Stummfilm „Sunrise“ neu vertont

Es ist schon skurril genug, wenn eine Gruppe ihre beiden nächsten Platten gleichzeitig auf den Markt bringt und durch lustige Titel wie „AWCMON“ und „NOYOUCMON“ (etwa: „Ach, hab dich nicht so“ – „Nein, hab DU dich nicht so“) miteinander korrespondieren lässt. Skurriler wäre es da nur noch, einen Stummfilm von 1927 mit Musik aus dem Jahre 2004 zu unterlegen. Weil sie von den Machern des „San Francisco International Film Festival“ darum gebeten wurden, haben Lambchop also „Sunrise“ von Friedrich Wilhelm Murnau neu vertont – am Dienstagabend gab’s in einem Kreuzberger Off-Kino eine inoffizielle Vorführung des Werks.

Anwesend war auch Kurt Wagner, der stets mit Baseballkappe bedeckte Kopf der Gruppe: „Wir hatten es uns zur Aufgabe gemacht, für die neuen Platten jeden Tag einen neuen Song aufzunehmen“, erzählt er, mit dem Bier in der Hand am Tresen lehnend, „da war die Sache mit dem Film eine schöne Abwechslung“.

Und eine Herausforderung. Tatsächlich scheint der verhaltene Folk von Lambchop wenig mit den Bildern von Murnaus naturalistischem Melodram gemein zu haben. „Sunrise“, Murnaus erste Arbeit in den USA, basiert auf Hermann Sudermanns „Die Reise nach Tilsit“ und erzählt die Geschichte eines einfachen Bauern, der sich in eine andere Frau verliebt und auf ihr Betreiben versucht, seine Gattin auf einer Bootsfahrt in die Stadt zu ertränken. Stattdessen erkennt er in der Metropole seine wahre Liebe und rettet ihr, als sie auf der Rückkehr in einen Sturm geraten, sogar das Leben. Mit seinen Überblendungen, Doppelbelichtungen und der „entfesselten“ Kamera gilt „Sunrise“ heute als Meilenstein der Filmgeschichte.

Im Gegensatz zu ähnlichen Projekten – wie etwa die detailgetreue Neuvertonung von Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ durch die isländischen Knispel-Elektroniker von Múm – hat Kurt Wagner die Musik nicht sklavisch an die Bilder gebunden. Die Songs bleiben als typische Lambchop-Kompositionen erkennbar, nur die Tempi sind dem Erzählrhythmus der Geschichte untergeordnet.

Und weil Wagner weitgehend der Versuchung widersteht, die Stimmungen einzelner Szenen mit akustischen Effekten zu verstärken, vermeidet er Redundanz und Aufdringlichkeit. Film und Musik bleiben Künste von eigener Geltung. Wo sie einander dienen, erreichen sie bisweilen bezaubernde Augenblicke von audiovisuellem Gleichklang. Wozu Wagner noch während des Abspanns applaudiert wird. Doch der blockt mit erhobenen Händen ab: „It’s not about Lambchop, it’s about Murnau“.

Aw, come on! ARNO FRANK