„Dieser bezaubernde Mief …“

… ist in Österreich nicht wegzublasen, meint der Schriftsteller Robert Schindel. Daher können ÖVP/FPÖ weiterregieren

taz: Bundeskanzler Schüssel darf mit seiner Koalition aus ÖVP und FPÖ weiterregieren. Wie konnte das passieren?

Robert Schindel: Es gibt eine Österreich umspannende, tief gehende Gleichgültigkeit gegenüber den Umbrüchen dieser Zeit, die Stillstand und Atemholen signalisiert, aber keineswegs Interesse an dem, was auf uns zukommt.

Dass es sich um eine katastrophale Regierung gehandelt hat, war doch offensichtlich.

Die Alternativen sind mickrig. Die Sozialdemokratie bewegt sich seit einem Jahrzehnt nicht mehr und hat aus der verheerenden Klima-Zeit keine Konsequenzen gezogen. Viktor Klima war ein unpolitischer Manager, der weder kluge Außenpolitik noch eine moderne Sozialpolitik machte, sondern nur auf schlechter werdende Zeiten reagiert hat. Und das zu Lasten der Mehrheit der Bevölkerung. Alfred Gusenbauers Parteireformen bringen angeblich neue Leute und neue Ideen. Man sieht aber nach außen nichts davon. Die SPÖ ist selber konservativ. Die Sozialdemokraten sind etwa in der Fremdenpolitik nicht besser und vertreten in Wirklichkeit auch nur das eigene Besitzdenken. Die Grünen sind eine interessante Alternative, aber eine zu kleine Partei.

Bei den Popularitätstests in den Medien bekommen immer die Politiker die besten Noten, die am meisten in den Medien präsent sind. Sind die Österreicher zu verblödet, um kritisch Zeitung zu lesen?

Nein, aber sie sind vom Habitus und der Geschichte relativ obrigkeitsgläubig. Dieser Habitus bringt es mit sich, dass man den Österreichern sehr viel einreden kann. Es muss viel passieren, dass sie sich aufregen, und das meistens auf Nebenschauplätzen. Dazu kommt die katastrophale Mediensituation – es gibt eine einzige Zeitung, die das Land dominiert.

Man könnte sagen, jedes Volk hat die Medien, die es verdient. Aber sind die Zeitungen schlecht, weil die Leser nichts Besseres wollen, oder sind die Leser so bescheiden, weil sie nichts anderes kennen?

Österreich war in der Zwischenkriegszeit auch nicht größer und hatte sehr gute Zeitungen. Was sich in einem kleinen Land mehr auswirkt: Es ist eine ganze Intellektuellenschicht, nämlich die Juden, die für ein intellektuelles mediales Klima gesorgt haben, aus Österreich verschwunden. Stattdessen kam die Kontinuität eines christlichsozialen Österreich, die die Medien dominiert hat. Dieses Provinzielle ist Österreich nicht mehr losgeworden. Es hat auch das Jahr 68 nicht so gegriffen und auch die Kreisky-Zeit nicht ausgereicht, um diesen Mief, diesen bezaubernden Mief, der sich nicht heben will, wegzukriegen. Ich sage bezaubernd, weil es sich in diesem Mief ganz angenehm leben lässt. Momentan sehe ich so viel Stillstand und Ignoranz, dass ich nicht wirklich erkennen kann, woher eine Erneuerung kommen soll. Ich glaube, es müssen außerhalb Dinge passieren, von denen Österreich mitgerissen wird. INTERVIEW:
RALF LEONHARD