in fußballland
: Die verbrannten Flügel des Ikarus

CHRISTOPH BIERMANN über den geschwundenen Zauber des Präsidenten von Borussia Dortmund, Gerd Niebaum

Christoph Biermann, 43, liebt Fußball und schreibt darüber

Vielleicht empfinde ich den Niedergang von Borussia Dortmund deshalb stärker, weil ich eine Zeit lang von diesem Klub durchaus fasziniert gewesen bin. Viel hatte das mit dem ehemaligen Präsidenten zu tun, der heute zugleich Präsident und Geschäftsführer der Kommanditgesellschaft auf Aktien ist. Ich war seinem Zauber erlegen, denn zwischenzeitlich erschien mir Gerd Niebaum wie der ideale Vorsitzende eines Fußballklubs. Er gab ein schlüssiges Bild ab, vor einer Bücherwand voller Gesetzestexte und deren Interpretationen in seiner Kanzlei nahe dem Ruhrschnellweg. Das suggerierte Solidität, während seine schwärmerischen Worte ein tiefes Verständnis von Fußball, auf jeden Fall aber von Borussia Dortmund nahe legten.

Niebaum ist Jurist, hat aber das sprachliche Geschick eines Werbetexters, der Zusammenhänge in einem griffigen Claim zusammenfassen kann. Von ihm stammt etwa die Formulierung, dass Borussia Dortmund „in Steine und Beine investieren“ müsse. Besonders in Erinnerung ist mir aber eine andere Bemerkung geblieben, die wie die Grundidee seiner Vereinsführung klang: „Zukunft braucht Herkunft.“ Das klingt inzwischen vor allem nach einem der lauen Leitsätze, wie man sie aus Grundsatzentschließungen von CDU-Parteitagen kennt, doch vor mehr als zehn Jahren hatte das im Zusammenhang mit Fußball einen besonderen Reiz.

Niebaum verstand früh, dass die Geschichte von Borussia Dortmund für den Klub nicht nur identitätsbildend, sondern auch ein wirtschaftlicher Faktor sein könne. Er beschwor daher die sportliche Tradition des Klubs und machte sich die großen Spieler von früher zu Ratgebern – oder vermittelte zumindest den Eindruck. Er hofierte das Publikum, dessen Gefühle und Sehnsüchte er zu verstehen schien. Und er beschwor schon früh die soziale Verwobenheit des Klubs, die später allerorten im Gerede von der Wichtigkeit für die Region plagiiert wurde.

Borussia Dortmund schöpfte daraus eine Kraft, und immer war dies auch eine wirtschaftliche. Niebaum beförderte schon früh eine riskante Investitionspolitik, als er Andreas Möller 1987 für einen Millionenbetrag aus Frankfurt ins Westfalenstadion holte. Mit dem Pokalsieg zwei Jahre später wurde das belohnt, und nach diesem Muster ging es immer riskanter und größer weiter. Der Gewinn der Deutschen Meisterschaft 1995 war zwar ein großer romantischer Moment, hatte aber wieder mit großen Investitionen für erneut Möller, für Poulsen, Herrlich oder Reuter zu tun. Zwei Jahre später gewann die nun komplettierte Ägide der Italienheimkehrer um Sammer und Kohler die Champions League. Geld hatte eben doch Tore geschossen.

Doch gerade dieser Abend des größten Triumphs bereitete ein langes Ende vor, das sich derzeit zu vollziehen scheint. Ottmar Hitzfeld war nach dem Triumph über Juventus Turin schon ein trauriger Mann. Aufgerieben durch schleichende Konflikte mit dem Präsidenten, saß er im Münchner Olympiastadion auf dem Podium und hatte Tränen in den Augen. Anschließend lobte Niebaum ihn zum Sportdirektor weg.

Doch es war nicht diese Personalie allein, denn Ikarus Niebaum begann seinen Flug zur Sonne mit Fremdvermarktung, Börsengang und Stadionausbau. Borussia Dortmund wurde dabei jedoch zunehmend ein hässlicher Klub. Aus der Ferne wehten zwar immer noch die Sätze von einst heran und beschworen das alte Borussia-Gefühl, doch der Klub, der so unbedingt mit dem FC Bayern mithalten wollte, wurde vor allem zu einer Geldmaschine. Wichtiger als die vermeintliche oder wirkliche Misswirtschaft waren dabei Details. Ob das nun ein Fußballbilder-Sammelalbum ist, in dem das Logo und das Stadion der Borussia nicht abgebildet werden dürfen, weil der Klub dafür extra kassieren wollte. Oder sei es der Versuch, bei den Fans für den Besuch der Homepage zu kassieren.

Borussia Dortmund hatte früher auch deshalb Soul, weil Niebaum ein großer Gospelsänger war. Was immer aus diesem Talent geworden ist, geblieben ist nur noch schwarz-gelber Stadionrock und Agonie der Größe.