Die Sirene des Präsidenten

Sie fährt die harte Linie, weckt aber keine feindlichen Gefühle. Welche Rolle spielt es, dass Condoleezza Rice eine Frau ist?

Madeleine Albright war mindestens ebenso mächtig, aber: eine ältere Dame mit vier Kindern

von MICHAEL STRECK

Selten zuvor stand sie so im Vordergrund. Ihr Präsident schickte sie an die Medienfront, wo sie der Welt mit entwaffnendem Lächeln erklärt, warum die USA in den Krieg ziehen müssen. Nicht ohne Kalkül, denn Condoleezza Rice ist ein Habicht im Taubengewand. Das ist neu: pure Machtpolitik, anmutig und elegant verkauft von der Nationalen Sicherheitsberaterin von George W. Bush. Manchmal ist es, als ob eine Sirene singt. Man muss aufpassen, als Zuhörer nicht Schiffbruch zu erleiden und ihre Argumente plötzlich einleuchtend zu finden. Zum Beispiel, wenn sie mit umwerfendem Charme erklärt, dass Präventivkriege gerechtfertigt seien. Wenn sie spricht, schlägt sie gelassen die Beine übereinander, baut ruhig ihre Argumente auf und kommt schnörkellos zum Punkt. Obwohl sie eine aggressive Politik vertritt, hinterlässt sie beim Zuhörer keine feindlichen Gefühle.

Rice gilt als Architektin von Bushs Außenpolitik. Niemand im Weißen Haus hat ein so enges Verhältnis zum Präsidenten wie die 48-Jährige. Bush, der intellektuelles und diplomatisches Gerede verabscheut, schätzt ihre kühle und sachliche Art und hört auf ihren Rat. Und sie kann mit Bushs ungehobelter Art gelassen umgehen. Nur wenige Meter trennen ihre Büros im Oval Office voneinander. Seit er sie im Wahlkampf 2000 als außenpolitische Beraterin in sein Team holte, ist Rice kaum mehr von seiner Seite gewichen.

Condoleezza Rice ist die erste schwarze Frau mit dieser Machtfülle. Sie ist eine Ausnahmeerscheinung in der US-Politik, ein Wunderkind und die perfekte Verkörperung des „American Dream“. Sie ist schwarz, kam aus dem rassistischen Süden und stürmte durch das Leben: Erstes Klavierkonzert mit vier Jahren, Studienabschluss mit 19, Professur mit 26, und mit Anfang 30 Mitglied im Beraterteam von Bush senior. Journalisten und Kollegen überschütten die „stählerne Magnolie“ mit positiven Attributen. Sie sei stolz, zugleich elegant, eifrig, durchsetzungsfähig und dennoch respektvoll. Rice passt in keine Schublade. Sie ist hochintelligent, liebt Brahms, Beethoven und Football, bewundert Militärs, spricht Russisch und Französisch, redet nie über ihre Rasse und Geschlecht. Immer wieder versuchen Analytiker sie zu entmystifizieren. Denn für viele Menschen hat sie geradezu etwas Übernatürliches. Dabei ist sie durch ganz irdische Tugenden zu dem geworden, was sie ist: Selbstbewusstsein, Ehrgeiz und Fleiß.

Den Grundstein für diese Entwicklung legten ihre Eltern. Beide hatten studiert, eine Ausnahme im von ethnischer Diskriminierung geprägten Süden der USA, wo Rice im US-Bundesstaat Alabama aufwuchs. Ihr Vater war Universitätsangestellter, auch die Mutter unterrichtete. Bildung stand ganz oben auf der Agenda der kindlichen Erziehung. Immer wieder wurde ihr eingeschärft, besser als alle anderen zu sein. Nur so könne sie die Rassenvorurteile der Weißen entkräften. Sie wurde auf Erfolg trainert, nicht auf Rassenstigma und Frauenrolle. Der Bürgerrechtsbewegung in den 50er-Jahren standen die Eltern skeptisch gegenüber. Vom Staat galt es nichts zu erwarten. Jeder ist seines Glückes Schmied, so das elterliche Kredo. Andererseits wurde Rice die christliche Lehre eingeimpft, dass alle Menschen gleich seien und nicht aufgrund ihrer Rassenzugehörigkeit benachteiligt oder bevorzugt werden dürften – eine Haltung, die sie später an der Elite-Universität Stanford in Kalifornien zur Politik machte und Zulassungen nicht nach Hautfarbe oder Geschlecht entschied, sondern allein aufgrund persönlicher Leistungen.

Rice ist ein Workaholic. Sie steht um fünf Uhr morgens auf, joggt und stemmt Gewichte. Familie und Liebesbeziehungen gibt es nicht, Privates und Beruf gehen nahtlos ineinander über. Sie ist eine typische Vertreterin karrierebewusster Frauen im Washingtoner Establishment – verheiratet mit dem Beruf – und dennoch nicht die Regel. Ihr Gegenentwurf ist die Fraktionschefin im US-Abgeordnetenhaus, Nancy Pelosi, eine ebenso elegante und streitbare Frau, die als Mutter von fünf Kindern stets darauf achtete, Familie und politische Karriere zu vereinbaren. Daher konnte sie nie die Senkrechtstarterin Rice sein, die überdies schwarz ist und sich zweifach emanzipieren musste. Vielleicht erklärt das ihre Härte gegen sich selbst, die sich auch in ihren politischen Vorstellungen spiegelt. „Alles was zählt, ist Macht“, sagt sie mit Blick auf die Außenpolitik. „Weiche Themen“ wie Umweltschutz und Menschenrechte – Herzenssache von Pelosi – stören nur.

Während in Deutschland solch ein weibliches Bekenntnis zur Macht gerade noch geübt wird und eher Befremden auslöst, haben amerikanische Frauen mit dieser Haltung offenbar weniger Probleme. „Was ist daran falsch?“, fragt Kendra Ganobsik, Politikstudentin an der renommierten Johns-Hopkins-University in Washington. „Manche denken, oh, wenn man sich als Frau so verhält, verrät man sein Geschlecht. Doch das ist Quatsch.“ Mitstudentin Jill Freeman, die sich selbst als liberal und feministisch beschreibt, schätzt die Professionalität von Rice, obwohl sie ihre politischen Positionen nicht teilt. „Ihre Außenpolitik ist mir zu schwarzweiß.“ Dass ausgerechnet diese zarte Erscheinung solche Hardliner-Positionen verkörpert, macht Rice für viele so faszinierend. Unrecht tut man damit Frauen wie der früheren Außenministerin Madeleine Albright, die mindestens ebenso mächtig, aber nicht so schillernd war, nur weil sie als etwas ältere Dame mit Handtasche und Mutter von vier Kindern eine gemäßigte Außenpolitik vertrat.

Rice selbst macht um ihr Frausein kein Aufhebens. Bewusst jedenfalls setzt sie ihre Weiblichkeit nicht als Waffe ein. So einzigartig und mächtig Condoleezza Rice ist, so sehr verkörpert sie ein Amerika, in dem Frauen mittlerweile viel selbstverständlicher hochrangige Positionen ausüben, Weltkonzerne leiten und sich um das Präsidentenamt bewerben, weil sie ihren „Job“ hervorragend machen. Hatte den alten Bush Ende der 80er vor allem ihre Expertise überzeugt – als der Ostblock sich auflöste, waren Sowjet- und Russischkenner so heiß begehrt wie heute Arabischexperten – deckt sich ihr konservatives und religiöses Weltbild mit dem von Bush junior, der zudem mit ihrer Nominierung auf das Wahlvolk schielte. Frauen und Schwarze gehören bislang zur Stammwählerschaft der Demokraten.

Dolores Tucker ist Chefin des National Congress of Black Women und selbst Demokratin. „Ich bin stolz auf Condi Rice“, sagt sie. Ihre Präsenz in dieser Position habe eine große Bedeutung für die Afroamerikaner in den USA. Immer noch gebe es eine doppelte Diskriminierung für Schwarze und Frauen. Sie stimme mit ihr in vielen politischen Themen natürlich nicht überein. Als Demokratin fordert sie vor allem in sozialen Fragen genau das, was Rice zutiefst ablehnt: Staatliche Programme für Unterprivilegierte. Doch Rice mache Hoffnung. „Meine Töchter sehen, dass man solche Positionen auch als schwarze Frau erreichen kann.“

Zwei Jahre ist sie Bushs Sicherheitsberaterin und koordiniert das Zusammenspiel von Pentagon, Außenministerium und Geheimdienst. In dieser Zeit hat Rice auch eine persönliche Metamorphose durchlebt. Angetreten als nüchterne Realpolitikerin, um ausschließlich Amerikas Sicherheitsinteressen zu vertreten, war sie lange überzeugt, dass es nicht Aufgabe der US-Außenpolitik sei, sich am „Nation-Building“ zu beteiligen. Getreu ihrer eigenen Lebensphilosophie müssten Nationen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Doch seit dem 11. September argumentiert sie viel stärker moralisch. „Die Welt soll nicht nur sicherer, sondern auch besser werden“, fordert sie. Nun gelte es, Länder von Tyrannen zu befreien und Demokratie zu exportieren.

Wie groß ihr Einfluss im Bush-Team tatsächlich ist, bleibt unklar. Für manche ist Rice die Vordenkerin, für andere verknüpft sie geschickt die unterschiedlichen Positionen im Kabinett. Sie stellt Fragen, entwirft Optionen und dirigiert die Debatten, berichten Insider. Erstaunlich souverän behauptet sich die zierliche Frau dabei unter selbstherrlichen Machtmenschen wie Donald Rumsfeld, Dick Cheney und CIA-Chef George Tenet, die gerne mal rumbrüllen und poltern. Ihr Trick: Warten, bis sich alle abreagiert haben, und dann durchdachte Vorschläge auf den Tisch legen.

Alle schätzen ihren vorbildlichen Teamgeist. Rice ist absolut loyal und diskret. Privates über sie und andere erfährt man von ihr nicht. Auch was ihre zukünftigen Ambitionen anbetrifft, schweigt sie. Doch sie ist jung, und daher spekuliert das politische Washington gern. Was wäre, wenn Dick Cheney, der auch nicht mehr der Gesündeste ist, 2004 nicht wieder als Vize antreten würde? Würde sie Nein sagen, sollte Bush ihr das Amt anbieten? Und dann wäre es nur noch ein kleiner Sprung zur „Frau Präsidentin“. Doch es gibt etwas, das stört in diesem Bild. Sie ist einfach zu gut, zu kontrolliert, zu klug, zu schön und zu stark. Sie ist für viele unnahbar. Man kann sich einfach nicht vorstellen, dass sie am Samstag auf dem Sofa lümmelt, Chipstüten neben sich und Football schaut. Die meisten Amerikaner wollen keine Lichtgestalt als Staatsoberhaupt, sondern eine von ihnen.