Dem Iran droht Kopflosigkeit

Im Konflikt mit dem Wächterrat über die Ablehnung reformorientierter Kandidaten für die Wahlen könnte nach dem Abgang mehrerer Minister auch noch Staatspräsident Chatami zurücktreten. Doch bislang bleiben die Konservativen hart

Die Ablehnungen haben zur größten Krise in der Geschichte der Islamischen Republik geführt

VON BAHMAN NIRUMAND

Nach offiziellen Angaben erwägt Irans reformorientierter Staatspräsident Mohammed Chatami in der Auseinandersetzung mit den Konservativen über den Ausschluss von mehr als dreitausend Kandidaten für die Parlamentswahlen am 20. Februar seinen Rücktritt. Wie Vizepräsident Mohammed Ali Abtahi bekannt gab, haben bereits mehrere Minister und Stellvertreter des Präsidenten ihren Rücktritt eingereicht. Auf die Frage, ob auch Chatami den Kabinettsmitgliedern folgen werde, sagte Abtahi: „Wahrscheinlich werden wir alle gemeinsam gehen.“

Bereits zuvor hatten fast sämtliche Provinzgouverneure mit Rücktritt gedroht. Die massiven Ablehnungen haben zu der wohl größten Krise in der Geschichte der Islamischen Republik geführt. Der von Konservativen beherrschte Wächterrat hatte 3.605 von 8.157 Kandidaten, darunter 83 Parlamentsabgeordnete, als ungeeignet für ein Parlamentsmandat eingestuft.

Diese willkürliche Entscheidung rief massive Proteste der Reformer hervor. Seit zwölf Tagen befinden sich über hundert Abgeordnete in einem Streik. Zwar haben Präsident Chatami und Parlamentspräsident Mehdi Karrubi zu vermitteln versucht. Auch Revolutionsführer Chamenei wies den Wächterrat an, seine Entscheidung zu überprüfen und vor allem die Kandidatur der 83 Abgeordneten, gegen die keine eindeutigen Beweise vorliegen, zu akzeptieren.

Doch der Wächterrat zeigt bisher wenig Bereitschaft, die Ablehnungen zurückzunehmen. Am Dienstag gab er bekannt, dass er bisher in nur zweihundert Fällen seine Entscheidung revidiert habe. Demgegenüber haben die streikenden Parlamentarier erklärt, sich nicht mit Teilkompromissen zufrieden zu geben. Parlamentsvizepräsident Mohammed Resa Chatami, Bruder des Präsidenten und Chef der Moscharekat-Partei sagte, es gehe um freie Wahlen, um die Durchsetzung der Grundsätze der Republik. Diese seien nur gewährleistet, wenn „keine Zensur der Kandidaten“ stattfindet. Die streikenden Parlamentarier haben gestern den Wächterrat aufgefordert, sich bis Donnerstagabend zu entscheiden. Sollten sie die Rücknahme der Ablehnungen nicht akzeptieren, würden weitere Maßnahmen getroffen.

Nach Einschätzung politischer Beobachter werden die Reformer im Falle der Ablehnung ihrer Forderungen zum Wahlboykott aufrufen. Bereits am Dienstag hat der gemäßigte „Rat kämpfender Geistlicher“, dem sowohl Präsident Chatami als auch Parlamentspräsident Karrubi angehören, einstimmig beschlossen, bei Aufrecherhaltung der Ablehnungen ihre Kandidaten zurückzuziehen und die Wahl zu boykottieren. Das Innenministerium erklärte, ohne Rücknahme der Ablehnungen werde es keine Wahlen geben.

Auch die Konservativen versuchen ihre Kräfte zu mobilisieren. Rund zweitausend Geistliche und Zivile haben in der heiligen Stadt Ghom erklärt, dass sie einen Marsch nach Teheran planen. Sie forderten den Wächterrat auf, standhaft zu bleiben und „Lakaien des Auslands und Verderber auf Erden“ den Zugang zum Parlament zu versperren. Der konservative Oberstaatsanwalt Ajatollah Namasi bezeichnete den Streik der Parlamentarier als „illegal und unakzeptabel“. Das könnte als Warnung gemeint sein. Ob jedoch die Konservativen eine gewaltsame Auflösung des Streiks im Parlament wagen, scheint zumindest bislang kaum vorstellbar.