Die Bremer Bierfrau

„Ich habe den besten Job der Welt“: Die 22-jährige Englisch- und Politikstudentin Dorothea Ahlemeyer schreibt über ihre Nebentätigkeit als Gerstensaft-Ausschenkerin im Weserstadion

„Beweg deinen blöden Arsch!“ Meint der mich oder Micoud? Vorsichtshalber in Deckung gehen und lächeln. Warum stehe ich immer falsch, wenn die anderen in unseren Strafraum stürmen? Manchmal ist es nicht leicht, bei Werder zu arbeiten.

Du arbeitest bei Werder? Ja. Ich betreue den 12. Mann. Ich gebe dem 12. Mann Bier. Das ist in einem 12,5-Liter-Fass und hängt auf meinem Rücken. Die Spieler schwitzen auf dem Rasen, ich auf den Rängen. In der Hand habe ich einen Schlauch mit Zapfhahn. Und rechts, links, hinter und vor mir habe ich anderthalb Stunden lang aufgerissene Münder: „Spritz mir eins, Baby.“ Seit November arbeite ich als mobile Bierverkäuferin für Haake-Beck. Den Job habe ich aus der Zeitung.

In meiner ersten Nacht im „Tower“ riss ich zusammen mit einer Freundin um halb vier die entsprechende Anzeige aus einer alten Zeitung. Ein paar Tage später und nüchterner fanden wir den zerknüllten Zettel in der Hosentasche. Wir riefen an. Die Haake-Frau sagte: „Ihr müsst schwer tragen, und normalerweise arbeiten hier nur Jungen.“ Wir sagten: „Wir sind groß und stark.“ Zwei Tage später stand ich zum ersten Mal in einem Fußballstadion. Und in einem Paar bierdurchtränkter Hosen.

Heute ist Bochum da. Und meine Brüder. Über Bochum weiß ich nicht viel. Und das obwohl Dariusz Wosz seit circa 12 Jahren auf einem Panini-Bild an unserer Küchentür klebt. Ich komme aus einer Fußballfamilie. Meine Brüder sitzen neben dem blauen Fanblock. Als Werder im Herbst mal nur vier Punkte hinter Bayern lag, wollten sie nicht mehr mit mir über Fußball reden. Seit der Rückrunde grinsen sie beim „ran“-Gucken hämisch in meine Richtung.

Bei meinem ersten Spiel im Weserstadion gewann Bremen 2:0 gegen Bayern, und ich verdiente den Rekordbetrag von 70 Euro für nur zwei ausgeschenkte Fässer, weil mein Zapfhahn streikte. Ich verkaufte kein Bier, sondern Schaum, aber der Haufen Iren um mich herum nahm mir das nicht krumm, ich bekam sogar Trinkgeld. Kahn ging gebeutelt vom Feld, und ich grinsend einen Werder-Schal kaufen. Ich hatte den besten Job der Welt.

Im Moment sehen die Bremer ein bisschen gebeutelt aus. Die Ostkurve organisiert Streiks, und in der ostwestfälischen Schule, in der ich gerade hospitiere, werde ich montags mit boshaftem Gelächter begrüßt. Ihr werdet schon sehen.

Jedenfalls fängt es gut an. Heute. Der boykottierte Ostkurvenblock ist bald wieder voll besetzt. Dann versinkt er in einem Fahnenmeer, Werder trifft wieder. Meine Arme fliegen nach oben, der Schaum den Umstehenden auf die Hose. Die lachen und bestellen einen Becher mehr. Ich habe den besten Job der Welt.

Es gibt verschiedene Sorten potenzieller Bierkäufer. Hundertprozentig sind 18-jährige Typen, die zum ersten Mal ihre Freundin mit ins Stadion schleifen. Jetzt müssen sie beweisen, wie klasse Fußball und Bier und sie selber sind. Ordentlich verdienende Männergruppen ohne Dauerkarte, die von Grünkohltouren oder aus Emden eintrudeln, sind auch gut. Leute, für die der Stadienbesuch ein Fest ist – oder Kult. Heute habe ich so eine Truppe. Heute bin ich die Königin des mobilen Bierausschanks. Eine Junggesellenabschiedsfeier. 18 Bier pro Runde. Mein Spiel läuft so gut wie auf dem Rasen. Beim 1:0 hätte ich den Typen auf den Schoß springen können. Vielleicht meine liebsten Fans bisher. Zusammen mit denen in den Familienblöcken, die beim Cottbus-Spiel ihre ungedankte Begeisterung für Werder zeitweise auf mich umsteuerten und grölten: „Die Bierfrau – oho.“

Es laufen die letzten Minuten und Ailton und Charisteas mit den Blauen um die Wette. Ich verteile die schaumigen Reste aus dem vierten Fass an meine Brüder und frage, wer der beste Mann auf dem Spielfeld war. „Freier“, sagen sie. Ach komm! Dann sind sie gnädig: „Man konnte Anfang der zweiten Halbzeit zumindest sehen, warum Bremen mal Zweiter war.“

Die Bochum-Fans neben uns sind gut, Pott-Fans sind immer gut. Die brüllen auch in der 85. Minute und mit zwei Treffern Rückstand noch „Aus-wärts-sieg“. Wir gewinnen. Die Welt ist fürs Erste wieder in Ordnung. Bremen wird doch Meister. Ist es schon. Meister der Herzen. Meines zumindest. Ich habe mit Micoud und Ailton geschwitzt. So ist das, Toni. Ihr tragt die Verantwortung für ein Stück samstagabendliches Hochgefühl, ich zwölfeinhalb Liter Bier auf dem Rücken. Dorothea Ahlemeyer

Spielbericht auf Seite 18