Wucht statt Zauber

Die Debussy-Oper „Pelleas und Melisande“ bietet Uneindeutiges, verpackt in dichtes Klanggewebe. In Bremerhaven entschied man sich trotzdem für dramatische Schwere

Wie kann man die Natürlichkeit dieses Dramas auf die Bühne bringen, ohne in Kitsch und Posen zu enden?Der Schluss erinnert eher an ein Verdi-Finale als an Debussys zarte Zauberwelt

Es war eine Revolution in der Musikgeschichte, als 1902 in Paris Claude Debussys Oper „Pelleas und Melisande“ uraufgeführt wurde. Und noch 100 Jahre später wirkt das Stück wie ein Fremdkörper im klassischen Opernkanon, der das Publikum verschrecken kann.

Und in der Tat, das Große Haus des Bremerhavener Stadttheaters war kaum zur Hälfte gefüllt, als Intendant Peter Grisebach jetzt den Mut hatte, diese Oper auf den Spielplan zu setzen. Debussy hatte gewagt, ein Musikdrama ohne dramatischen Handlungsknoten, ohne melodramatische Explosionen zu entwerfen. Es geht ihm um winzige Nuancierungen, um zarte Farben, um das Uneindeutige und Geheimnisvolle.

Sein Plot – nach Maurice Maeterlinck – erzählt im Märchenton vom Ritter Golo, der im Wald die schöne, traumverlorene Melisande (mit langem, goldenen Haar) trifft. Er führt sie aufs Schloss seines Großvaters Arkel, nimmt sie zur Frau und muss mit ansehen, wie sein Stiefbruder Pelleas und seine Gattin Melisande eine Beziehung eingehen, deren Charakter geheimnisvoll bleibt, bis sich die beiden endlich ihre Liebe gestehen. Die Oper endet mit dem Tod der Liebenden.

Die schlichte Handlung lebt von den Zwischentönen im Beziehungsspiel der Figuren, von den unterirdischen Seelenqualen und Spannungen, die Debussy in einer geradezu beiläufigen Musiksprache, in einem fließenden impressionistischen Klanggewebe aufhebt.

Von den Sängern verlangt er – in Abkehr von den Traditionen der Opernliteratur – einen natürlichen Tonfall. Und hier beginnt die Schwierigkeit jeder Inszenierung. Denn: Wie kann die Natürlichkeit dieses Seelendramas auf die Bühne gebracht werden, ohne in Kitsch und jugendstiligen Posen zu enden?

Grisebach, der die Regie in letzter Minute übernehmen musste, rettet sich in eine strenge und puristische Stilisierung des Geschehens. Die Bühne bleibt ein dunkler Raum mit einer schiefen Ebene im Mittelpunkt, die Felswand, Schlossturm oder Grotte sein kann, und entsprechend häufig bewegt wird. Der Wald besteht aus Baumstümpfen, teils nur noch verbrannte Reste, womit der Krieg als Hintergrund angedeutet ist.

Auf dieser kahlen und düsteren Spielfläche hängt alles von den Figuren ab. Und hier entscheidet sich Grisebach gegen die Vieldeutigkeit der Musik für eine Eindeutigkeit der Haltungen, die Debussys „zauberisch beschwörende“ Welt wagnerhaft schwer machen. Melisande (Melanie Maenni) ist eine Maske, eine puppenhaft starre Figur, die immer mit demselben Gesichtsausdruck und großen Augen unbewegt in Richtung Publikum schaut.

Aber dieser innere Fernblick nach Medusenart bleibt seltsam wirkungslos, und warum er die beiden Männer fesselt, bleibt deren Geheimnis. Hier wird jede mögliche Natürlichkeit zugunsten plakativer Gesten aufgegeben.

Im Schlussbild versinkt die halbtote Melisande in einem meterlangen weißen Totenkleid, das malerisch über die gesamte Spielfläche fällt – was in seiner großen Geste eher an das Finale einer Verdi-Oper erinnert als an die zarte Zauberwelt von Debussy. Deren musikalische Raffinesse und Vieldeutigkeit allerdings wird vom Orchester (am Pult: Stephan Tetzlaff) und den ausdrucksstarken SängerInnen feinnervig herausgearbeitet. Hans Happel

„Pelleas und Melisande“, Stadttheater Bremerhaven, Großes Haus. Weitere Vorstellungen: 12., 18. und 21. März. Karten: ☎ (0471) 48 20 60