Operation Minenfeld

In Kabul bereiten sich deutsche Soldaten auf den umweltschonenden Irak-Feldzug vor

Seit dem 1. 3. 2003 erhebt die Bundesregierung ein Mehrweg-Minenpfand

Jens-Uwe Rielsch ist Mitglied einer Bundeswehr-Kommandoeinheit, die sich auf streng geheimer Mission in Afghanistan befindet. Langsam stiefelt er durch die unberührte Wüstenlandschaft nördlich von Kabul. Doch für das grandiose Bergpanorama am Horizont hat der Oberfeldwebel kein Auge. Sein Blick ist konzentriert nach unten gerichtet. Jeder Schritt könnte sein letzter sein – ein Fehltritt auf eine der vielen im Sand verbuddelten Landminen, und es hieße „Adios, Amigo“. Findet Jens-Uwe hingegen Bruchstücke einer schon detonierten Mine, hebt er sie auf und verstaut sie sorgsam in dem Minentrolley, den er wie einen Aldi-Einkaufswagen hinter sich herzieht. Grund der ungewöhnlichen Sammeltätigkeit des deutschen Sonderkommandos auf afghanischem Boden: Seit dem 1. 3. 2003 erhebt die Bundesregierung ein Minenpfand – und kann sich deshalb unter der Fahne des Mehrweggedankens umweltschonend am kommenden Irakfeldzug beteiligen. Der 28-jährige Westerwälder übt schon mal vor Ort und freut sich wie ein Schneekönig über jeden Fund – schließlich wird er dafür fünf Euro kassieren und so seinen kargen Sold ein wenig aufbessern können.

Die wider Erwarten reibungslose Einführung des Dosenpfands bewog die Regierung zu diesem unkonventionellen Schritt. Bundesverteidigungsminister Peter Struck will jetzt von den positiven Erfahrungen seines Kabinettskollegen Trittin profitieren und einen wirksamen Beitrag zum Umweltschutz in Krisengebieten leisten. „Es kann ja wohl nicht angehen“, so der knorrige Minister, „dass Minen einfach in die Landschaft ausgebracht werden und dann jahrelang liegen bleiben. Mit der Bepfandung der Land- und Tellerminen schaffen wir eine echte Motivation, die wertvollen Reste der detonierten Sprengkörper zu sammeln und in den Wiederverwertungskreislauf einzubringen. Unser Auftrag lautet ganz klar: Weg von der Einwegmine.“

Ein löblicher Vorsatz, der der Verschandelung von Krisengebieten wirksam Einhalt gebieten könnte. Aber die Kampfmittelerkundung und -räumung macht der Truppe natürlich erhebliche Schwierigkeiten – schließlich ist es nur sinnvoll, schon detonierte Minen wiederaufzubereiten. Und die finden sich meist in der Nachbarschaft scharfer Minen. Neben Minenspürpanzern setzt die Bundeswehr deshalb auch ortskundige einheimische Helfer ein, die den gefährlichen, ökologisch gleichwohl wichtigen Job erledigen. Oberstleutnant Knut Petersen vom 1. Minenräumkommando in Afghanistan ist sich der Gefahr bewusst und berichtet über erste Erfahrungen. „Natürlich versuchen unsere Jungs, scharfen Minen aus dem Weg zu gehen, und meistens klappt das ja auch, aber leider nicht immer. Aber für den Umweltschutz müssen wir das Risiko eingehen.“

Was für den einzelnen Soldaten lebensbedrohlich wirken mag, ist für die heimische mittelständische Minenindustrie von lebenswichtiger Bedeutung. Herbert Heck, Chef von Heck-Minen in Sulzbach-Rosenberg, ist auf die großen Minenproduzenten, die in den vergangenen Jahren den Markt mit minderwertigen Billigminen überschwemmt haben, schon lange schlecht zu sprechen. „Wir sind ein Familienbetrieb, der in der dritten Generation Minen herstellt. Und zwar keine Wegwerfminen, sondern wiederverwendbare Minen mit dem traditionellen Bügelverschluss – echte deutsche Qualitätsarbeit.“ Für ihn und seine mittelständischen Minenproduzentenkollegen ist die Einführung des Minenpfands ein erstes greifbares Resultat der Mittelstandsoffensive der Bundesregierung – und ein wirksamer Schutz vor den internationalen Minenmultis. Sein jahrelanger Kampf gegen die Pfandminen-Muffel und für die Erhöhung des Anteils an Mehrwegminen scheint sich ausgezahlt zu haben.

Aber nicht nur der Industrie kommt die Einführung des Minenpfands wie gerufen, auch die rot-grüne Regierung kann sich mit der unkonventionellen Initiative von einigen Sorgen befreien. Der Irakkrieg verliert so für die zwischen Wahlversprechen, Bündnisverpflichtung und Nein im Sicherheitsrat taumelnde Regierung einiges an Schrecken. Die Bundeswehr kann sich doch noch am Krieg beteiligen, indem sie den Aufbau eines wirkungsvollen Minen-Recyclingsystems im Irak zu ihrer Aufgabe macht – Pazifisten und Umweltfreunde können so auf elegante Weise dem Irakdilemma entkommen.

Was aber, wenn die Gier nach Pfand alle Vorsichtsmaßregeln außer Kraft setzt und beim Einsammeln der Minen doch mal eine explodieren sollte? Der Untergefreite Sascha Rehm aus Döbeln, der kurz vor Kabul versehentlich eine funktionstüchtige Tellermine erwischte und jetzt mit Armprothese seinen Dienst versieht, macht gute Mine (!) zum bösen Spiel: „Wem das passiert, der bekommt immerhin 1.500 Euro Sonderzulage als kleine Entschädigung.“ Um nach einer kleinen Pause schmunzelnd hinzuzufügen: „Natürlich nur, wenn er es noch bis zur zentralen Sammelstelle in Kabul schafft.“

RÜDIGER KIND