Die EU hat ihr Wahlkampfthema

Der Streit über den EU-Haushalt wird zum Hauptthema der Europawahlen im Juni werden. Dabei dürfte die ein oder andere Staatenkoalition zerbrechen

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Auf einmal reden alle übers Geld. Agrarreform, EU-Verfassung, Erweiterung – im Wahljahr werden Europas Kernthemen auf den Aspekt reduziert, der jeden Wähler angeblich am meisten bewegt: Wer greift uns tiefer in die Tasche?

Romano Prodi, der bei der Europawahl im Juni nicht zur Wahl steht und dessen Amtszeit als Kommissionpräsident wenig später zu Ende geht, darf ganz offen antworten. Am Montag erinnerte er in einer Rede vor der London School of Economics daran, dass 1,24 Prozent des Bruttonationalprodukts – auf diese Summe darf der EU-Haushalt derzeit maximal anwachsen – nicht mehr sind als das Sozialbudget eines großen Mitgliedsstaates. „Wir befinden uns am Vorabend der größten Erweiterungsrunde in der Geschichte der Union. Das ist ein merkwürdiger Moment, um ausgerechnet eine Deckelung der EU-Mittel bei einem Prozent des BNP zu fordern, wie es einige Mitgliedsstaaten tun“, sagte der Kommissionspräsident.

Von ebenjenen Mitgliedsstaaten, sechs an der Zahl, war Prodi Mitte Dezember aufgefordert worden, mit seinem Finanzvorschlag für den Zeitraum von 2007 bis 2013 1 Prozent des Nationaleinkommens nicht zu überschreiten. „Im Lichte der schmerzhaften Konsolidierungsbemühungen in den Mitgliedsstaaten würden es unsere Bürger nicht verstehen, wenn der EU-Haushalt von diesem Konsolidierungsprozess ausgenommen bliebe“, heißt es in dem Brief.

Diesen Standpunkt vertreten nicht nur Deutschland und Frankreich, sondern auch Schweden, Österreich, Großbritannien und die Niederlande. Finnland und Italien schlossen sich in den letzten Tagen dem Sparerclub an.

Alle acht verbindet ein gemeinsames Interesse. Zusammen mit Belgien, Dänemark und Luxemburg gehören sie zu den Nettozahlern, die mehr in die EU-Kasse abführen, als sie über Subventionen aus Brüssel zurückbekommen. Dem stehen die Empfängerländer Portugal, Griechenland und Spanien gegenüber, die ein Interesse daran haben, dass der EU-Haushalt wächst. Würde er tatsächlich bei einem Prozent des BNP eingefroren, gingen die drei in der nächsten Finanzperiode leer aus. Dann würde der Löwenanteil der Fördermittel nicht mehr nach Süden fließen, sondern nach Osten, ins neue Armenhaus der Union.

Dass sich die EU in den kommenden Jahren neuen teuren Aufgaben gegenübersieht, bestreiten auch die Nettozahler nicht. Innovation und Verbesserung des Standorts Europa, Außen- und Sicherheitspolitik, Schutz der EU-Außengrenzen und Steuerung der Migrationsströme nennen sie als vordringliche Ziele. Der Brief der sechs schweigt sich aber darüber aus, wo das Geld dafür herkommen soll.

„Umschichtung“ könnte die Lösung sein. Doch wie soll die aussehen? Noch immer fließt die Hälfte des EU-Haushalts, knapp 55 Milliarden Euro, in ein aberwitziges Landwirtschaftssystem, das Agrarfabriken subventioniert. Deutschland würde hier gern den Rotstift ansetzen, will aber keinesfalls die Achse Berlin–Paris aufs Spiel setzen. Erst im vorletzten Herbst hatte Bundeskanzler Schröder seinem Freund Chirac zugesagt, den Agrarhaushalt nicht anzutasten. Frankreich wird aus diesem Topf besonders üppig versorgt.

Die nun zwischen den Hauptstädten heftig umstrittene Finanzfrage fügt den schwelenden Konflikten in der Union eine weitere Kontroverse hinzu. Wie es sich im Dezember beim gescheiterten Verfassungsgipfel bereits abzeichnete, werden die Integrationsbefürworter nun die finanziellen Daumenschrauben anziehen. Die neuen Mitglieder – aber auch die bisherigen Empfängerländer – sollen lernen, dass finanzielle Solidarität und die Bereitschaft zu einem gewissen Souveränitätsverzicht in der EU zusammengehören.

Diese Lektion verspricht spannend zu werden. Dabei dürfte dann auch schnell die spanische-polnische Achse, die beim Streit um die Entscheidungsregeln im Rat entstand, zerbrechen. Spanien wird merken, dass die Mittel, die in die polnische Infrastruktur fließen, im spanischen Hinterland fehlen. Und umgekehrt. Das dämpft die Freundschaftsgefühle.

Spannende Wahlkampfthemen gibt es also genug. Zu schade, dass die Debatte sich auf die Frage beschränken wird, wer wem in die Tasche greift.