Der Patient lebt

Werder Bremen gewinnt gegen Bochum mit 2:0 das erste Punktspiel in diesem Jahr, doch die Krise dauert an

BREMEN taz ■ „Noch sechs Punkte bis zum Klassenerhalt“, steht auf der Tafel in der Bremer Kneipe „Eisen“. Hier sitzen die ganz harten Werder-Fans bei einem Beruhigungspils am Fernseher. Nach fünf Niederlagen in Folge ertragen sie es einfach nicht mehr, ins Stadion zu gehen. Den Ultras aus Block 64, im unterkühlten Weserstadion für ein Mindestmaß an Stimmung verantwortlich, ging es ähnlich: Die erste Viertelstunde des Spiels gegen den VfL Bochum ersparten sie sich, vertreten nur durch ungehaltene Transparente wie „Euer Fußball ist ’ne Qual“.

Im Stadion hätten sie sehen können, dass ihre Mannschaft zumindest begriffen hat, was die Stunde schlug: Anders als beim saft- und kraftlosen Pokal-Aus beim Abstiegskandidaten Kaiserslautern fightete Werder vom Anstoß an und schnürte die Bochumer in ihrer Hälfte ein. Immer wieder versuchte man es jedoch durch die Mitte und blieb in der massiven Bochumer Deckung hängen. Und wie in alten Tagen tappte Stürmer Ailton ein ums andere Mal ins Abseits. „Unsere Defensivstrategie ist perfekt aufgegangen“, resümierte Gäste-Trainer Peter Neururer hinterher treffend. Warum sein Team dann trotzdem mit 0:2 verloren hatte? Neururer war einfach unbescheiden geworden, wollte nicht nur einen, sondern drei Punkte. Dazu wechselte er in der Pause Stürmer Thomas Christiansen ein, der nach sieben Minuten den Ball vertändelte und Werders Führungstreffer einleitete. Und dass ausgerechnet Werder-Torwart Pascal Borel zwei Glanzparaden bei Chancen von Paul Freier zeigen würde, konnte nach menschlichem Ermessen auch keiner ahnen.

Die Werder-Fans rieben sich verwirrt die Augen: War er es wirklich? Der Mann, über dem seit Beginn der Saison Kübel von Spott ausgegossen wurden, den der Bremer Wirtschaftssenator Josef Hattig (CDU) ungestraft eine „Zumutung“ nennen durfte, zuletzt ein reines Nervenbündel – dieser Borel fing Bälle, die er sonst dem Gegner zufaustet, verdiente sich Szenenapplaus und hielt für Werder den Sieg fest. Als Trainer Thomas Schaaf ihn auf die Bank gesetzt hatte, sah das nach demütigender Degradierung aus. Aber dann durfte er zwei Wochen zuschauen, wie sich sein Konkurrent Jakub Wierzchowski blamierte. Für Borel scheint das eine Minipsychotherapie gewesen zu sein.

Dass Werder den freien Fall gestoppt hat und mit dem ersten Liga-Sieg in diesem Jahr sogar wieder auf einen Uefa-Cup-Platz vorrückt, ist einem weiteren Spieler zu verdanken, der schwere Zeiten hinter sich hat: Regisseur Johan Micoud, an der Weser wie ein Heilsbringer begrüßt, steckt seit der Winterpause in einer sportlichen Krise. Aufsehen hat der Franzose nur abseits des Platzes erregt: Er nölte über die „unmenschlichen“ deutschen Schiedsrichter, kritisierte die mangelnde Erfahrung von Trainer Schaaf, spekulierte über einen Vereinswechsel und verpasste einem Bild-Reporter eine schallende Ohrfeige. Gegen Bochum dirigierte „Le Chef“ jedoch wieder, und, was am wichtigsten war: Innerhalb von fünf Minuten hatte er zweimal die Übersicht, die besser postierten Ailton und Banovic die Werder-Tore schießen zu lassen.

Die in diesem Jahr außergewöhnlich hartnäckige „Bremer Krankheit“ – ein wie üblich verpatzter Rückrundenstart – ist damit noch nicht kuriert. Trainer Schaaf blieb denn auch nach dem Sieg gewohnt schmallippig, murmelte mürrisch etwas vom nächsten Spiel. Zu Recht: Der Sieg wurde gegen einen fußlahmen Aufsteiger errungen. Ein cleverer Gegner hätte Werder für die vor allem im Mittelfeld oft haarsträubenden Fehler bestraft.

Nun hoffen die Bremer auf die heilende Kraft des ersten Rückrunden-Sieges – und auf die ordnende Hand von Kapitän und Abwehrchef Frank Baumann, der wegen eines Muskelfaserrisses noch zusehen musste. Während der Woche hatte er sich zumindest vom Spielfeldrand eingemischt: „Einige hängen sich hier nicht voll rein“, diktierte er Journalisten. Die Worte haben offensichtlich Wirkung gezeigt. Erstes zählbares Ergebnis: Im „Eisen“ können sie die Parole ändern. „Noch drei Punkte“– dann dürfte zumindest der Klassenerhalt geschafft sein. Bis nach Europa ist der Weg noch ein wenig weiter.

JAN KAHLCKE