Kinnkrause als Erfolgsrezept

Kleine Borussia aus Mönchengladbach besiegt exmeisterliche Borussia aus Dortmund mit 1:0. Der triumphale Premierenerfolg von Trainer Ewald Lienen ist Ohrfeige und Motivation für die Intriganten

aus Gladbach BERND MÜLLENDER

Das Spiel und sein Ergebnis (1:0 für die Rheinlandborussia gegen die Ruhrpottborussia) waren schnell abgehakt. Das Match war, wie es im Fußball halt manchmal ist, wenn, so Dortmunds Trainer Matthias Sammer, „eine solche Mannschaft im Rahmen ihrer Möglichkeit“ gegen den Meister spielt. Gladbach hatte mit Hingabe und purer Kampfeslust, unterstützt durch eine grandiose Kulisse, den spielerisch hoch überlegenen Gegner zermürbt.

Ansonsten drehte sich alles um Gladbachs neuen Trainer Ewald Lienen. Der bekannte sich offenherzig zur „destruktiven Spielweise“, bei der seine Elf ein Defensivgestrüpp aufgebaut hatte, für das Lienens frühere Kinnkrause Pate gestanden haben könnte. Glück hatten sie reichlich: Mit dem ersten Ball, den Gladbach nach 63 Minuten auf das gegnerische Tor bugsiert bekam, hatte Mikael Forssell getroffen. Danach hatten sie den Wall aus Leidenschaft vor dem eigenen Tor noch erhöht.

Exspieler Lienen war „mit Heimatgefühlen“ und in gediegenem dunkelblauem Zweireiher zurückgekehrt, schritt mit gewollt gesetzter Feldherrngeste über den Platz und war ansonsten auffallend nervös. Abwechselnd fuhr er sich durch die Haare oder zurrte seinen hässlichen Clubschlips nach oben, als wäre der eine Nummer zu groß. Nur seine berühmten Zettel gaben den Händen Sinn. 90 Minuten lang gab er nur selten den Ewald’schen Rumpelstilzchen-Mix aus Standhüpfer, Wutstampfer und Gestikulierer. Dem Tor allerdings folgte ein ekstatischer mehrfacher Toeloop.

Vor dem Spiel waren alle alten Reflexthemen zum Thema Lienen (Ernährung, Friedenspolitik, Zettelwirtschaft, Rauchen) abgearbeitet. Folgenlos war der vorgebliche Abstinenzler von der taz (6. 3.) als Teilzeitalkoholiker geoutet worden, der einmal beim Genuss mehrerer Kölsch (2) erwischt worden war. Jetzt muss Lienen sogar für eine Biermarke, Borussias Hauptsponsor, am Reverskragen Reklame laufen. Und seine Rheinlandfähigkeit hat der fälschlich für humorarm gehaltene Ostwestfale schon in Köln durch Besuch des Rosenmontagszuges bewiesen.

Nachher versuchte sich „der Herr Lienen“ (Jeff Strasser) durch karge Statements aus dem Scheinwerferlicht zu nehmen, ließ alles Lob teflonartig an sich abperlen, um es an die Mannschaft weiterzuleiten: Die hätte „intensiv und aggressiv alles abgerufen“. Was übrigens exakt die gleichen elf Leute tun durften, die auch Vorgänger Hans Meyer in seinem letzten Spiel hatte anfangen lassen. Eine kluge Geste des Respekts des „sehr strengen Trainers“ (Torschütze Forssell).

Immerhin machte Lienen auch einen Scherz: „Der Platz ist so kräfteraubend, dass ich schon müde werde, wenn ich einmal drüber gehe.“ Er gab einen Merksatz über die Motivation der Spezies Fußballprofi: „Es gibt keinen Trainer, der Spieler benachteiligt, sondern nur Spieler, die sich benachteiligt fühlen.“ Und er formulierte einen wendezeit-historischen Hinweis zu seinem ostdeutschen Vorgänger Hans Meyer: „Wenn die politischen Verhältnisse anders gewesen wären, vielleicht würde er heute Bayern oder Dortmund trainieren.“ Bevor alle so über den möglichen Sinn nachgedacht hatten, moserte BVB-Coach Matthias Sammer lachend: „Ach, lass mich doch noch ein bisschen …“

Verloren (Spiel und letzte illusiorische Titelhoffnungen) hatte an diesem Samstag nicht nur der Gegner, sondern auch die Bild-Zeitung. Deren Schreiberlinge hatten Hans Meyer mürbe intrigiert. Mit Folgen: Bei Erwähnung des Namens Bild, die am Bökelberg die Zwischenergebnisse aus den anderen Stadien eigenwerbend liefert, setzte es jedesmal ein gellendes Pfeifkonzert. Von all dem war auf dem Fernseh-Boulevard, bei den Springerblattfreunden von „ran“, nichts zu sehen. Stattdessen trat Bernd Weber, NRW-Sportchef bei Bild, noch einmal nach: „Ich kann zynische Leute nicht leiden wie diesen Meyer.“ Deshalb war er zum Abschuss freigegeben, jenseits aller Sach- und Fachlichkeit.

So war nicht nur das Spiel einigermaßen kurios: Den Job verdankt Boulevardhasser Lienen indirekt ausgerechnet dem Vierbuchstabenblatt. Dem indes gilt der sperrige Linke seit jeher als personifizierte Steigerung von Meyer. Und Hetzer Weber droht schon eiskalt an: „Wenn Lienen wie in Köln Urinproben entnehmen lässt, ob einer Zigaretten geraucht hat“, dann werde er auch in Mönchengladbach „in der zweiten Phase seines Schaffens auf die Schnauze fallen“.

Ewald Lienen sagte, die Rückkehr war für ihn „wie eine Droge“. Am Boulevard werden sie beizeiten ihre eigenen Nadeln setzen.

Borussia Mönchengladbach: Stiel - Eberl, Pletsch, Strasser, Embers - Demo, Kluge, Ulich (73. Asanin) - Aidoo (79. Korzynietz), van Lent (13. Ketelaer), ForssellBorussia Dortmund: Lehmann - Madouni (75. Odonkor), Metzelder, Wörns, Dede - Kehl, Reuter, Evanilson (56. Heinrich/70. Amoroso) - Frings - Ewerthon, Koller Zuschauer: 33.700; Tor: 1:0 Forssell (63.)