Grüße aus der Heimat

Helke Misselwitz wildert im „Quartier der Illusionen“ zwischen Charité und Friedrichstraße, Volker Koepp fängt die Melancholie der Lkw-Fahrer an der polnischen Grenze ein: Im Filmtheater Hackesche Höfe startet eine Reihe mit neuen Heimatfilmen

VON DETLEF KUHLBRODT

Über den Begriff Heimat kann man lange reden. Man denkt an kleine Orte mit Dirndl, Lederhosen, Gesangsverein und Kindervogelschießen, in denen dem Fremden misstrauisch begegnet wird; an Traditionen, die die einen schützen, die anderen ausschließen; an Beziehungs- statt Vertragsverhältnisse, an Vertriebene, an Flüchtlingsströme oder an bestimmte Gerüche oder auch, wie die Wolken am Himmel aussehen.

Dort, wo man einen Baum pflanzt, ein Kind zeugt, ein Haus baut, sei die Heimat, meinen die Aktivisten, während die Melancholiker davon ausgehen, dass Heimat nur im Inneren sei als verlorene Landschaft der Kindheit. Der Heimatfilm ist eher übel beleumdet, ein Terrain der Reaktion, denkt man im Allgemeinen und vergisst dabei, dass auch die Filme von Tarkowski, Achternbusch und Jean Luc Godard von Heimat und Heimweh handeln und, wenn man so dabei ist, natürlich auch Detlev Buck, „Sonnenallee“ und die anderen, die gut gelaunt, mit einer Träne im Knopfloch, der DDR hinterherblicken.

Die Heimaten, um die es in dem gemeinsam vom RBB und dem Filmtheater in den Hackeschen Höfen präsentierten Dokumentarfilmprojekt „Meine Heimat“ geht, sind konkreter. Die vier Dokumentaristen aus der ostdeutschen Dokumentarfilmszene, die der RBB beauftragt hatte, drei Filme über Heimat zu machen, haben sich für konkrete Orte entschieden: Helke Misselwitz erzählt 60 Minuten lang von dem „Quartier der Illusionen“ zwischen Charité und Friedrichstraße, in dem sie seit fünf Jahren wohnt. Ihr ging es darum, „die Welt zu entdecken in einem Mikrokosmos, immer auf der Straße zu bleiben“. Ihre Heimat lebt von der Spannung zwischen altem und neuem Filmmaterial, Gesprächen mit Passanten und dem Blick auf wegfahrende Züge.

Die Dokfilmer Heinz Brinkmann („Komm in meinen Garten“) und Heiner Sylvester sind für ihren Heimatfilm „Hinter den Bergen“ nach Heinersdorf in den Thüringer Wald gefahren. Zu DDR-Zeiten lag der Ort im Sperrgebiet und war von allen Seiten von Sperranlagen begrenzt. Die einen blieben in Heinersdorf, die anderen flüchteten in bayrische Nachbardörfer, als die „Aktion Ungeziefer“ 1952 die Grenzorte entvölkerte. Die Filmemacher lassen die Bewohner des beschaulichen Ortes ihre Geschichten erzählen. Manches ist traurig, manches lustig oder interessant; einerseits lernt man den Ort schon ein bisschen kennen, andererseits wirkt der Film manchmal ein wenig konventionell und glatt, weil zu viele zu Wort kommen, weil die Regisseure sich vielleicht zu sehr darum bemühten, eine repräsentative Ansicht von Heinersdorf zu liefern, weil es einem unangemessen scheint, wenn auch sehr tragische Schicksale in wenigen Minuten erzählt werden.

Volker Koepp, dessen „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“ einer der erfolgreichsten Dokumentarfilme der letzten Jahre war, berichtet in seinem Film über einen Ort, der einem zunächst mal nicht einfallen würde beim Thema „Heimat“. Es geht ums „Frankfurter Tor“, den riesigen Parkplatz, auf dem Lkw-Fahrer oft 12 Stunden „Zeit abparken“ müssen, bis sie weiter nach Polen fahren können. Täglich passieren 4.000 Lkws diese Grenze. Koepp erzählt ganz behutsam von diesem Übergangsort, von der Arbeit der Grenzer, in kleinen Häuschen, durch deren Fenster am frühen Morgen so schön die Sonne scheint, von Lkw-Fahrern, deren Heimat ihr Auto ist, echten Männern, die seit 25 Jahren „Russland machen“ und erzählen, dass sich „die Russen“ kollegialer als die Westler verhielten; von einem Geschäft, in dem die Trucker aus dem Osten vor allem einkaufen.

Einmal gibt es einen Lkw-Streik wegen der langen Wartezeiten und weil es zu wenig Toilettenhäuschen gibt, einmal sieht man einen schwankenden Trucker in der Nacht auf den Parkplatz pissen oder ein russischer Trucker erzählt einen Witz: „Was ist das? – Er sitzt den ganzen Tag rum, starrt aus dem Fenster und hört Radio?“ Ein Lkw-Fahrer. Sehr schön hat Koepp die Melancholie des an sich schon sehr filmischen Ortes eingefangen, der mit dem Beitritt Polens zur EU verschwinden wird.

Die Heimatfilme des RBB ergänzend, zeigt das Kino in den Hackeschen Höfen auch noch einmal Bernd Fischers „Grüße aus Dachau“; eine überraschend entspannte, manchmal tragikkomische Dokumentation über einen Ort, der versucht vor der Kulisse einer erdrückenden, allgegenwärtigen Geschichte – im KZ Dachau wurden 31.000 Menschen ermordet – „normal“ und auch touristisch interessant zu sein. Überraschend entspannt erzählt Fischer von Exhäftlingen, die Besuchergruppen durchs ehemalige KZ führen, von Nachbarn des ehemaligen Lagers und von Leuten, die gern einen Schlussstrich ziehen würden.

Heimatfilm-Wochenende im Filmtheater Hackesche Höfe vom 23. bis 25. 1.