„Bitte mehr Informationen“

Viele Migrantinnen haben kaum Kontakt zur Außenwelt. Ein Internetkurs für Türkinnen versucht, das zu ändern

„Aysche6“ will es genau wissen. Können seelische Probleme bei Kindern genetische Ursachen haben? „Bitte mehr Informationen“, tippt sie in die Tastatur. „Aysche6“ ist ihr Internet-Spitzname. Im richtigen Leben trägt Aysche ein Kopftuch. Sie ist Mutter. Sie spricht kein Deutsch, kommt nur wenig von zu Hause raus. Gerade hat sie gelernt, mit dem Internet umzugehen – in einem Computerkurs für Mütter mit Migrationshintergrund.

„Die Frauen merken, dass sie auf jede Frage eine Antwort bekommen können“, sagt Kursleiterin Ümit Yüzen-Grabski. Der Arbeitskreis Neue Erziehung veranstaltet den Unterricht. Es ist ein Kurs nur für Mütter türkischer Herkunft. Sie sollen lernen, wie sie selbst mit dem Internet umgehen und wie sie ihren Kindern eine vernünftige Mediennutzung beibringen können.

Der Unterricht ist auf Türkisch. Kaum eine der Frauen spricht fließend Deutsch. Heute lernen die Kursteilnehmerinnen, wie sie ein Internetforum benutzen. Sieben Frauen zwischen Mitte 20 und über 50 haben vor den PCs im Internetcafé des Stütze e. V. in Wedding Platz genommen. Emine Inci bewegt den Mauszeiger über den Bildschirm. Sie hat vor dem Kurs noch kein Internet benutzt. Die Webseite ist türkisch. Sogar der Balken am rechten Bildschirmrand, mit dem man den Text hoch- und runterscrollen kann, ist in den Nationalfarben Rot und Weiß. Es ist ein Webforum nur für Migranten. Es gibt dort Einträge für Sport und für Flirt. Flirt ist das größte Verzeichnis.

Die Frauen klicken auf „Egitim“ – Erziehung. Das ist das Thema, das sie am meisten interessiert. Was bedeutet es, wenn der Schulpsychologe die Eltern zum Gespräch zitiert? Auf welche Schule soll das Kind gehen? Wie viel Fernsehen ist gut? Es sind Fragen,die manchmal banal klingen. Für viele Migrantinnen sind sie aber im Alltag schwer zu beantworten. Sie können kein Deutsch. Sie arbeiten nicht. Sie haben nur wenig Kontakt zu Außenstehenden. Die Frauen sind vom Internet fasziniert. Sie hoffen, Antworten zu finden. „Zu jedem Thema, das uns interessiert, findet man etwas“, hat Emine Inci festgestellt. Ihr Sohn ist in der Pubertät. Er macht der Mutter ein paar Sorgen. Durch den Kurs habe sie ein paar gute Tipps für ihre Erziehungsprobleme gefunden, findet Inci.

Ümit Yüzen-Grabski und ihre Kollegin haben den Frauen gezeigt, wie sie ihre Kinder zum sinnvollen Umgang mit Medien erziehen und wie sie selbst Suchmaschinen bedienen, wie sie Werbung herausfiltern und wo sie sich über die verschiedenen Schularten informieren können. Viele Kinder von Migranten landen in Sonderschulen, weil ihre Eltern nicht wissen, wie sie anderweitig gefördert werden können. Die Frauen haben in den wenigen Stunden Unterricht schnell gelernt.

„Sie sind unglaublich interessiert“, sagt Kursleiterin Yüzen-Grabski. Viele von ihnen sind hoch gebildet. Eine Kursteilnehmerin, die ein Kopftuch trägt, ist Architektin. Sie kann in Deutschland nicht arbeiten, weil sie kein Deutsch spricht. Eine andere hat schon erwachsene Kinder. Sie möchte das, was sie über Erziehung und Computer lernt, in ihrer Nachbarschaft weitergeben. „Die Frauen erleben sich im Internet selbst als sehr aktiv“, hat Yüzen-Grabski beobachtet.

Sonst habe für die Mütter vor allem der Fernseher große Bedeutung. Von den türkischsprachigen Programmen bekommen sie eine Dosis Heimat, von Ratgebersendungen Tipps für den Alltag. In vielen Haushalten läuft der Fernseher fast ständig. Mit dem Internet können die Frauen selbst aktiv werden und ein Stück aus ihrer Isolation herauskommen. Ihre Familien legen ihnen keine Steine in den Weg, sondern unterstützen sie. „Viele Ehemänner“, sagt Yüzen-Grabskis Kollegin Sibel Orlay, „haben ihre Frauen sogar selbst hergeschickt.“ BERNHARD HÜBNER