Der Bär verteilt sein Fell selbst

Günter „Nebentätigkeit“ Rexrodt gibt den FDP-Landesvorsitz auf. Bei seiner Nachfolge mischt er kräftig mit: Markus Löning erbt den Posten, aber der starke Mann wird Fraktionschef Martin Lindner

„Wer weiß, welche Auftraggeber Rexrodt in dieser Kalenderwoche finanzieren?“

von ROBIN ALEXANDER

Bevor der Bär erlegt ist, soll man sein Fell nicht verteilen, weiß der Volksmund. Und irrt: zumindest, was die Berliner FDP angeht. Der Bär lebt. Günter Rexrodt, Landesvorsitzender, erfreut sich bester Gesundheit, obwohl heftig Jagd auf ihn gemacht wird. Dabei geht es nicht um Rexrodts Politik, sondern um seine zahlreichen Nebentätigkeiten. Immer wieder macht sich der ehemalige Bundeswirtschaftsminister damit angreifbar.

Nur die zwei jüngsten Beispiele: Bei der Firma „WMP Eurocom AG“, die im Moment wegen ihrer Beraterverträge mit der Bundesagentur für Arbeit unter schwerem Feuer steht, arbeitet Rexrodt im Vorstand. Gestern erst berichtete der Stern über Rexrodts Engagement als Präsident der Arabisch-Deutschen Vereinigung für Handel und Industrie (Ghorfa), die Unternehmen gegen hohe Gebühr bescheinigt, dass ihre Produkte keine in Israel gefertigten Komponenten enthalten.

„Jede Äußerung oder jedes Verhalten des Günter Rexrodt kann auf direkten oder indirekten finanziellen Zuwendungen Dritter beruhen. Wer weiß, welche Auftraggeber ihn zum Beispiel in dieser Kalenderwoche finanzieren?“, ätzt FDP-Mitglied Peter Landauer. Der Anwalt wird Rexrodt auch auf dem am Sonntag stattfindenden FDP-Landesparteitag hart angehen. Eine Mehrheit für Rexrodts Sturz ist jedoch nicht in Sicht. Der hat nämlich durchblicken lassen, von sich aus gehen zu wollen. Nicht schon an diesem Sonntag, aber wenn die Neuwahl des Vorsitzenden sowieso ansteht: im April. Damit hat er der Rexrodt-muss-weg-Fraktion die Argumente aus der Hand geschlagen und sich selbst einen – halbwegs – rühmlichen Abgang gesichert.

Wird an diesem Sonntag also das Fell des noch lebenden Bären verteilt? Nein, denn auch das ist bereits in Hinterzimmern geschehen. Neuer Landesvorsitzender der Liberalen soll Markus Löning werden. Der 43-jährige Inhaber einer Werbeagentur sitzt im Bundestag und kümmert sich dort vor allem um das nicht gerade urliberale Thema Entwicklungspolitik. In der Berliner Landespolitik ist er ein Unbekannter ohne Erfahrung und Netzwerk.

Ganz anders Martin Lindner. Der 39-jährige Anwalt führt die FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus und ist der liberale Aufsteiger des vergangenen Jahres. Wegen seiner heftigen, teilweise maßlosen Attaken gegen Rot-Rot gilt er als heimlicher Führer der bürgerlichen Opposition. Mit einem Angriff gegen den Vorsitzenden Guido Westerwelle schaffte er es sogar, auf der bundespolitischen Ebene wahrgenommen zu werden.

Lindner hatte selbst Ambitionen auf den Landesvorsitz, stellt diese aber für Löning zurück. Nicht, weil die beiden sich sonderlich mögen oder auch nur politisch ähnlich ticken. Lindner steht für die rein wirtschaftsorientierte FDP, Löning hingegen repräsentiert den aussterbenden Flügel, der sich auch für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik interessiert: einer, den man früher Sozialliberal genannt hätte.

Lindners Rückzug ist nicht ganz freiwillig. Der scheidende Rexrodt hat dabei kräftig mitgemischt. Er hat Lindner versteckt drohend gesagt, dass er dessen Mehrheit keinesfalls für gesichert hält, und ihm andererseits klar gemacht, dass sein Job im neuen Duo bei weitem der dankbarere ist: Lindner kann sich mit FDP pur gegen den Senat profilieren, ohne je in Gefahr zu kommen, seine Radikalkonzepte einem Realitätstest unterziehen zu müssen. Löning hingegen muss sich mit einer Parteiorganisation herumschlagen, die auch wohlwollende Betrachter als „Sauhaufen“ bezeichnen.

Warum trifft sich die FDP überhaupt an diesem Sonntag, wenn sowieso alles klar ist, aber erst im April entschieden wird? Es wird über die strittigen Punkte einer neuen Satzung entschieden: Das klingt langweilig, hat aber für die FDP Relevanz: Bisher bestellten die klüngelbeherrschten Bezirke die Kandidaten für das Abgeordnetenhaus auf. Übernähme diese Aufgabe ein Landesparteitag, müsste hingegen jeder Bewerber zumindest einmal eine halbwegs akzeptable Rede halten. Dieses Kriterium fürchtet die Mehrheit der 14-köpfigen aktuellen Fraktion.

Die Führungsleute sind anderer Meinung, trauen sich aber nicht gegen die Bezirksfürsten Stellung zu beziehen. Zuerst scherte der sonst so mutige Lindner aus: Seit einem Jahr äußert er seine Abneigung gegen die Bezirksliste nur noch im kleinen Kreis. Auch Löning hat zurückgezogen: Er fürchtet um ein gutes Wahlergebnis und wird deshalb auf dem Parteitag nicht für die Bezirksliste kämpfen. Das hat der Landesvorstand dem jungen Tim Stuchtey überlassen. Der wissenschaftspolitische Sprecher wird einen Kompromiss unterbreiten: Statt wie bisher automatisch nach Bezirksliste zu nominieren, soll künftig vor jeder Wahl mit einfacher Mehrheit entschieden werden, ob man eine Landes- oder eine Bezirksliste aufstellt. Doch selbst dieser minimalen Veränderung werden nur geringe Chancen eingeräumt. Dies schmerzt vor allem Rexrodt. Er hätte seiner Partei gerne, quasi als Abschiedsgeschenk, eine funktionierende Struktur hinterlassen. Daran sind in der FDP Berlin schon viele gescheitert. Sogar der Bär, dem es gelang, sein eigenes Fell zu verteilen.