„Ich wünsche mir mehr Mut“

Immanuel Schipper, Leiter des im April schließenden Neuen Cinemas, fordert – jenseits aller Sparzwänge – neuen Konsens zwischen freier Szene und Staatstheatern

Interview: NIKOLA DURIC

Zwei Jahre lang hat Immanuel Schipper unter dem Intendanten Tom Stromberg das Programm des Neuen Cinemas kuratiert. Im April muss es – Sparzwängen geopfert – endgültig schließen. Eine herbe Enttäuschung für etliche, die in der Schauspielhaus-Spielstätte am Steindamm ein neues subkulturelles Labor gesehen hatten. Immanuel Schipper berichtet, wie das Neue Cinema ursprünglich gedacht war.

taz hamburg: Wer präsentierte sich im Neuen Cinema?

Imanuel Schipper: Am Anfang zeigten wir kurze Soli von Tony Rizzi, Saburo Teshegawara, Jerome Bel. William Forsythe hat dort einen Lecture Film gezeigt; Heiner Goebbels schickte ein Hörspiel. Weil es so gut lief und uns der Raum so gefiel, haben wir ihn dann technisch für Theater aufgerüstet und behalten.

Was lief nach den einführenden Wochenenden?

Zuerst haben wir dort die neuen Produktionen von Charlotte Engelkes, Ingrid Lausund und die Vagina Monologe gezeigt – ehemalige Highlights der Kantine. Außerdem gab es dort Marleni mit Ilse Ritter. All das lief aber nicht richtig, also beschlossen wir, für das Cinema ein eigenes Konzept zu entwerfen.

Und wie sah das aus?

Die Idee war, neben dem Schauspielhaus ein kleineres „Boot“ ins Rennen zu schicken, dem es leichter fällt, unentdeckte Theatergebiete zu befahren. Außerdem wollte ich einen Raum haben, der eine engere Anbindung an die freie Szene hat.

Und wohin sollte die Reise gehen?

Ich bin an Produktionen interessiert, die die Trennung von Bühne und Zuschauerraum beenden. Es gab Projekte, die sich wie ein Wohnzimmer präsentierten, und die Macher waren die Gastgeber.

Und warum muss das Neue Cinema nun schließen?

Aus Geldmangel. Überall muss gespart werden. Ich weiß, dass die wirtschaftliche Situation in Deutschland nicht rosig ist. Aber der Theaterhaushalt macht 0,2 Prozent der öffentlichen Gelder aus. Das heißt, wenn man morgen alle Theater schließen würde, wären „nur“ 0,2 Prozent eingespart. Ich würde mir wünschen, dass Hamburg mutig einen neuen Weg ginge.

Bringen Theatersubventionen aber wirklich etwas für den Tourismus einer Stadt?

Es gibt eine Rechnung, die sagt, dass von jedem in die Kultur investierten Euro das 1,6-fache als Steuern und durch Nebenausgaben in die Stadt zurückfließen. Subventionen fürs Theater sind also durchaus für die ganze Stadt sinnvoll.

Nicht nur das Neue Cinema muss schließen, auch das TAT in Frankfurt und manche Bühne in Berlin werden geschlossen oder verkleinert.

Bis jetzt gab es eine Art Einverständnis zwischen experimentelleren Theatermachern der freien Szene und den Staatstheatern, weil die freie Szene Raum für neue Theaterformen bot und sich das Staatstheater aus diesem Millieu seine Newcomer holte. Man sollte nicht vergessen, dass die Hamburger freie Szene Theatermachern wie Nicolas Stehmann, Sandra Strunz, Falk Richter oder Gruppen wie Gob Squad als Einstieg diente.

Wohin wird sich das Theater in den nächsten Jahren entwickeln?

Das ist schwer zu sagen. Ich sehe eine konservative Haltung an Stärke gewinnen. Einerseits rufen Journalisten und Juroren nach experimentellem Theater. Wenn dies aber im Ergebnis nicht völlig durchdacht ist, wird es verrissen. Andererseits werden bekannte Stücke, wenn sie ohne Ecken und Kanten erzählt werden, hochgejubelt.

Und wie reagiert das Publikum?

Ich kann Zuschauer verstehen, die ungern ihr Geld für ein Stück hinblättern, dessen Idee zwar gut, dessen Umsetzung aber unfertig ist. Es wäre schön, zum Beispiel Theaterkarten umsonst rauszugeben. Luk Perceval hat in Antwerpen zum Beispiel ein Last Minute Ticket eingeführt. Was ich mir für das gegenwärtige Theater wünsche, ist mehr Mut – beim Publikum, den Künstlern und den Verantwortlichen in der Politik.