: Ein kleines bisschen Illusion
Justizsenator Roger Kusch weiht neue Haftplätze auf „drogenfreier Station“ im Gefängnis Vierlande ein. Gefangene sollen durch Abschirmung von anderen Insassen und durch strenge Urinkontrollen von Suchtstoffen fern gehalten werden
von ELKE SPANNER
Roger Kusch (CDU) hat ein Bekenntnis abgelegt: „Wir formulieren Ziele, von denen wir wissen, dass wir ihnen niemals nahe kommen werden“, sagte der Justizsenator gestern. Um sich im Strafvollzug seiner Vision aber zumindest etwas anzunähern, versucht der Senator im Kleinen zu verwirklichen, was im Großen niemals gelingen wird: Gestern weihte er im Gefängnis Vierlande neue Haftplätze in einer „drogenfreien Station“ ein: „Wie in der Koalitionsvereinbarung versprochen, wollen wir den Drogenmissbrauch in den Gefängnissen weiter zurückdrängen.“
In der Justizvollzugsanstalt (JVA) Vierlande sollen zumindest 46 Gefangene ein abstinentes Leben führen können. Auf die drogenfreie Station kommen Insassen, die sich aus anderen Gefängnissen heraus darum beworben haben. Voraussetzung: Die Entlassung muss in absehbarer Zeit bevorstehen, denn die drogenfreie Station soll die letzte Vollzugsstufe vor der Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt, einen Freigängerknast oder die Freiheit sein. Maximal sechs bis 12 Monate werden die Gefangenen dort untergebracht.
Das Konzept basiert vor allem darauf, dass die Gefangenen auf der drogenfreien Station von den übrigen in der Anstalt strikt fern gehalten werden. Allenfalls bei der Arbeit können sie auf Insassen aus anderen Abteilungen treffen und durch diese auf das dort vorhandene Drogenangebot. Zudem werden die 46 Insassen intensiv betreut – in jeglicher, auch repressiver Hinsicht. Täglich wird ihr Urin darauf getestet, ob sie Suchtstoffe zu sich genommen haben. Wer einmal erwischt wird, bekommt eine Verwarnung. Bei mehreren Verstößen wird man auf eine normale Strafstation zurückverlegt.
Neben den intensiven Urinkontrollen kommt aber auch der Unterstützung der Insassen in pädagogischer und psychologischer Hinsicht große Bedeutung zu. Im Vergleich mit den übrigen Hamburger Gefängnissen ist der Personalschlüssel in der drogenfreien Station besser. Die Gefangenen führen regelmäßig Einzel- und Gruppengespräche mit PsychologInnen. Zusätzlich werden sie auch in ihrer Freizeit „dicht begleitet“, wie Anstaltsleiter Ulrich Quietzsch formuliert: „Sie werden nicht sich selber überlassen.“ Auch nicht, wenn sie Besuch von Bekannten oder Angehörigen bekommen: Auch die Besuche erfolgen in „Begleitung“ von JustizbeamtInnen.
Da die Station gänzlich drogenfrei sein soll, werden süchtige Gefangene dort auch nicht mit Methadon substituiert. Auch in den übrigen Hamburger Anstalten gibt es Substitution neuerdings nur noch für die Dauer des Heroinentzuges, insgesamt für maximal vier Monate. Vierlande-Anstaltsärztin Birgit von Aichelburg bezeichnete es gestern gegenüber der taz als „illusorisch“ zu glauben, dass die Insassen nach dieser Zeit vollkommen drogenfrei seien. In jedem Fall müßten sie zumindest psychologisch weiter behandelt werden. Der Arbeitskreis Substitution von Ärztekammer und Kassenärztlicher Vereinigung erinnerte den Senator in einem offenen Brief daran, dass Substitution Teil der vertragsärztlichen Versorgung ist, auf die PatientInnen einen Anspruch haben. Es widerspreche dem Grundsatz der Gleichbehandlung inhaftierter und nichtinhaftierter Patienten, wenn den Gefangenen die Behandlungsmethode vorenthalten werde. Das „Drogenkonzept“ Kuschs, fasst der Arbeitskreis in seinem Brief zusammen, „führt zu einem Anstieg von Elend, Kriminalität und tödlichen Erkrankungen“.