Männer mit Bärten

Das Gerhard Marcks-Haus präsentiert zum internationalen Jahr der Bibel Heiligenfiguren und sakrale Gestalten seines Namenspatrons

Die volle Leiblichkeit der Mythologie trifft auf christologische Askese – und belebt sie

Die Nacht ist schwarz. Wie eine dunkle Macht neigt sie sich über den jungen Mann, der am Boden liegt. Er scheint am ganzen Leib zu zittern. Dann ruft er verzweifelt in die Finsternis: „Vater, wenn du willst, nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen.“

Das ist das Evangelium nach Lukas. Kapitel 22, Vers 42. Und die Ölberg-Szenerie bringt auf den Punkt, was Gerhard Marcks in seinen biblischen Figuren darstellt: Ihn interessiert das Verhältnis der Menschen zu höheren Mächten. Wer sich auf seine Grafiken, Skizzen und Skulpturen einlässt, begibt sich schnell auf eine Gradwanderung zwischen menschlichen Handlungsspielräumen und schicksalhaft-göttlichem Einfluss – so wie in der Holzschnitt-Trilogie „Gethsemane“, entstanden Anfang der 70er-Jahre.

Zu sehen sind sie derzeit, anlässlich des internationalen Jahres der Bibel, in einer kleinen Ausstellung des Marcks Hauses. Unter dem Titel „Heilige und biblische Gestalten“ zeigt das Museum einen Querschnitt dieses quantitativ geringen, aber für die Entwicklung des Künstlers ungemein bedeutenden Teil des Oeuvres.

Schwerpunkt des 1889 in Berlin geborenen Künstlers liegt in der Abstraktion menschlicher Figuren: Ihre dadurch gewonnene Expressivität gemahnt, ähnlich wie bei den Zeitgenossen Käte Kollwitz oder Ernst Barlach an die skulpturale Sprache der Gothik. Das tritt zumal in den biblischen Themen zu Tage, mit denen sich Marcks aus einer konkreten Auftragslage heraus befasste. Dabei erweist sich Marcks’ Auffassung des Christentums als geprägt durch seine Griechenlandreise 1928. In den Bildwerken verbindet sich die jüdisch-christliche Tradition mit jener des klassischen Altertums, Mythologie und Theologie ergänzen einander: Themen wie die Vorsehung werden in den antiken Figurationen des Schicksals gefasst, für Fragen der Schuld oder des Zweifels bedient der Künstler sich derchristlichen Ikonografie.

So sind in der Zeit zwischen 1936 und 1952 Plastiken entstanden, die jeweils als Paare aufgefasst werden können – die Gruppe „Venus und Amor“ etwa und eine Madonna. Noch sinnfälliger: Der „kniende Prophet“ und die „kleine Danae“ etwa verkörpern zwei Aspekte des Themas der himmlischen Gabe – spirituell gereinigt zum einen, sinnlich-ekstatisch zum anderen: Wird dem Seher das Wort von Gottes in den Mund gelegt, beehrt Zeus die Tochter des Akrisios ganz persönlich – als Goldregen. Und schenkt ihr einen Sohn. Indem Marcks ihr die volle Leiblichkeit der Mythologie gegenüberstellt, verneint er die Abstraktion des christologisch-asketischen Ansatzes, rettet aber dessen Botschaft. So erreicht er eine Ebene des Allgemein-Menschlichen, umgeben, aber nicht geborgen von höheren Mächten

Exemplarisch dafür steht Marcks’ Fortsetzung der, von Barlach begonnenen, „Gemeinschaft der Heiligen“ für die Katharinenkirche zu Lübeck. Die von 1946 bis 1949 entstandenen Heiligenfiguren unterscheiden sich stark von denen Barlachs: Fasste jener sie als göttliche Abgesandte auf, bearbeitete Marcks sie im Sinne der Paulusbriefe: Als gläubige Menschen, die in ihrer Vielfalt vor Gott stehen. Das bedeutet nicht zuletzt einen Verzicht auf an Attributen ablesbare Identitäten: Weder hat Adam einen Apfel, noch Petrus einen Schlüssel. Einzig den stereotypen Bart werden die Heiligen nicht los.

Vier der etwa einen halben Meter großen Steinfiguren sind im Marcks-Haus aufgereiht: Klar zu erkennen ist die Mutter Jesu. Sie stützt sich auf den Schultern ihres Kindes ab. Ein nackter Mann verdeckt mit beiden Händen sein Geschlecht: Das ist Adam, verstanden als eine Allegorie der Schamhaftigkeit. Ein älterer Mann – mit Bart – blickt verängstigt in die Höhe und verschränkt die Arme über seinem Oberleib – Petrus nachdem er Jesus verleugnet hat und der Hahn kräht. Die vierte Figur ist ein Jüngling, der die Arme unter seiner Kutte verschränkt und unzufrieden wirkt. In ihm mag man Judas erkennen, den Verräter.

Marcks starb 1981 in der Eifel. Den Bremern durch seine „Stadtmusikanten“ vertraut, prägen seine Plastiken auch Sakralräume der Stadt mit. Von ihm stammt das Kruzifix in der St.-Petri-Domkapelle wie ein auferstandener Christus in der evangelischen Jona-Kirche. Diesen Bildwerken gibt die aktuelle Ausstellung den spirituellen Rahmen ihres Entstehens zurück.

Anja Damm/bes

Gerhard Marcks-Haus, bis 18. Mai