berliner szenen Linker Seitenflügel

Busch statt Bush

Ein Gespenst geht um in unserem Hinterhof. Es begann an einem dieser fast schon warmen Vorfrühlingstage. Ein diffuses Gewirr aus Techno, Jazz und TV- Serienmusik drang schon seit Stunden aus den Fenstern zum Hof. Doch plötzlich übernahm ein schriller Marschmusikton die Führung. Eine pathetische Gesangsstimme rezitierte dazu: „Blutrote Fahne, führ das Volk zum Siege“. Und Schluss. Ein paar Sekunden leiser Techno. Dann wieder: „Bei Guadalajara im Monat März, in Kält’ und Regensturm, da bebte manches tapfere Herz …“

Jetzt kam ich aber doch ins Grübeln. Das Lied von den internationalen Brigaden? Erich Weinerts Lyrics in unserem Hinterhof!? Einen Augenblick lang hörte man nur die Melodie vom Glücksrad. Und schon wieder: „Rührt die Trommeln, fällt die Bajonette, auf zum Kampf, das Thälmannbataillon …!“ War das jetzt die Reaktion des nördlichen Prenzlauer Bergs auf Westerwelles Kampfansage an den Sozialstaat!? Wie als Antwort erschallte: „Roter Wedding, grüßt euch, Genossen, haltet die Fäuste bereit!“ Und sang nicht da unten sogar jemand mit? Tatsächlich. Herr Krähenburg aus dem Vorderhaus stand mit einem Stapel ND vor der geöffneten Altpapiertonne, die Faust in den Himmel gereckt. Da die Musik sofort wieder abbrach, hörte man nun seine sächselnde Stimme: „Haltet die roten Reihen geschlossen, dann ist der Tag nicht mehr weit …!“

Am nächsten Tag löste sich das Rätsel. Herr W. aus dem linken Seitenflügel hatte sich bei Amazon eine CD von Kate Bush bestellt. Geliefert bekam er Ernst Busch, Lieder der Arbeiterklasse. Doch das scheint W. nicht zu stören: „Früher ham wa ja ooch gesungen: Kriegen wir keine neuen Lieder, singen wir halt die alten wieder …!“ ANSGAR WARNER