„Kein großer Innovationsschub“

Der Integrationsgipfel der Bundesregierung ist nur ein erster Schritt, meint der Migrationsexperte der Arbeiterwohlfahrt, Wolfgang Barth: „Alle haben selbstkritisch überlegt: Was machen wir eigentlich?“ Das sei wichtig für die Weiterentwicklung

WOLFGANG BARTH, 53, ist Sprachwissenschaftler undGrundsatzreferent für Migration beim AWO-Bundesverband.

INTERVIEW SABINE AM ORDE

taz: Herr Barth, Donnerstag tagt der Integrationsgipfel der Bundesregierung zum dritten Mal. Es soll eine erste Bilanz gezogen werden. Wie sieht Ihre aus?

Wolfgang Barth: Mit dem Integrationsgipfel wurden alle Akteure, die im Bereich Integration arbeiten, eingeladen, über das Vorgehen zu diskutieren. Auf Augenhöhe, wie man so schön sagt. Das ist neu, und das ist gut. Bei aller Kritik.

Was ist die Kritik?

Die entscheidende Frage, was Integrationspolitik eigentlich ist, bleibt bestehen: Sozialpolitik oder Ordnungspolitik? Es gibt immer noch diesen Widerspruch zwischen Integrationsplan und Zuwanderungsrecht, zwischen Integrationsbeauftragter und Innenminister.

Beim Integrationsgipfel war die Vorgabe des Kanzleramts, dass alle rechtlichen Fragen ausgeklammert werden.

Das ist doch das Problem. Beides wirkt auf das Leben der Einwanderer, und manchmal passt das überhaupt nicht zusammen. Und dann gibt es mindestens noch ein zweites Problem.

Welches?

Der Kern des Integrationsplans sind die Selbstverpflichtungen aller Akteure. Damit ist aber kein großer Innovationsschub verbunden. Alle haben mehr oder weniger selbstkritisch überlegt: Was machen wir eigentlich? Und dann haben sie eine Selbstverpflichtung abgegeben, in der es heißt: Wir wollen das vertiefen, das verbreitern, das fortführen …

Genau so lesen sich auch die Selbstverpflichtungen der Wohlfahrtsverbände.

Ja, natürlich. Wir wollen das, was wir tun, weiterentwickeln.

Das ist als Ergebnis ein bisschen wenig für einen Integrationsgipfel, den die Kanzlerin als Meilenstein in der Integrationspolitik bezeichnet, oder?

Es ist ein erster Schritt. Die kritische Reflexion innerhalb der Institutionen ist und bleibt wichtig für die Weiterentwicklung.

Gab es bei der Arbeiterwohlfahrt vorher keine Reflexion?

Doch, natürlich. Die AWO hat seit 2000 eine Leitlinie, die besagt, dass wir all unsere Maßnahmen interkulturell öffnen. Die AWO bietet soziale Dienstleistungen von der Kindertagesstätte über Jugendarbeit und Schuldnerberatungsstelle bis zum Seniorenheim an, und für jedes dieser Handlungsfelder entwickeln wir ein interkulturelles Konzept.

Was heißt das konkret, zum Beispiel für die Altenhilfe?

Viel zu oft gucken die Einrichtungen noch immer darauf, was die Menschen nicht mitbringen – und nicht darauf, was sie brauchen. Die Altenhilfe zum Beispiel soll für ein menschenwürdiges Leben alter Menschen sorgen, egal woher sie kommen. Doch es ist noch immer so: Ein Mann, der zwei Zentner wiegt, ist für ein kompetentes Pflegeteam eine Herausforderung. Ein gläubiger Muslim aber, der kein Schweinefleisch essen und Waschungen einhalten will, wird leider immer noch zu oft als Zumutung empfunden.

Wie wollen Sie das ändern?

Am Donnerstag tagt zum dritten Mal der Integrationsgipfel der Bundesregierung im Kanzleramt. Dort soll eine erste Bilanz des Nationalen Integrationsplans gezogen werden, den Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der Verabschiedung vor gut einem Jahr als „Meilenstein der Integrationspolitik“ bezeichnet hatte. Kern des Plans sind rund 400 Selbstverpflichtungen aller Beteiligten, darunter des Bundes, der Länder und Kommunen, Gewerkschaften, Sportverbände und Migrantenorganisationen – deren Erfüllung die Organisationen jetzt selbst überprüfen.

Wir brauchen Qualifizierung. Und die Pflegeteams selbst müssen interkultureller werden.

Hilft der Integrationsplan, diese Probleme zu bewältigen ?

Langfristig schon, glaube ich, denn Integration als Thema ist im Mainstream angekommen.

Wie sollte es mit dem Integrationsplan weitergehen?

Der Begriff kommt 1.219-mal im Integrationsplan vor, aber definiert wird er nicht. Die Beteiligten müssen jetzt Ziele festlegen und Indikatoren, mit denen wir prüfen, ob wir das Richtige tun. Nehmen wir zum Beispiel diese ganzen schulischen Maßnahmen, die es jetzt gibt …

Wie könnte da eine Überprüfung aussehen?

Im Detail muss das noch entwickelt werden. Zunächst mal ist klar: Die Schulen werden ihrer Aufgabe nicht gerecht, allen Kindern, egal woher sie kommen, eine vernünftige Grundbildung mit auf den Weg zu geben. Jetzt gibt es in allen Bundesländern Deutschtests und Sprachförderung vor der Einschulung. Die Konzepte hören sich ähnlich an, sind es aber nicht. Das ist ein Wildwuchs. Man muss überprüfen, welches Konzept gut funktioniert und welches nicht.