Labours Zurücktreterin

Die britische Ministerin Clare Short droht bei Irakkrieg ohne UNO-Mandat mit Rücktritt aus dem Kabinett von Tony Blair

Ihr Spitzname ist „Hitzkopf“. Aber eigentlich ist das lange her. Clare Short, die britische Ministerin für Entwicklungshilfe, hat sich früher vehement für den Rückzug britischer Truppen aus Nordirland und gegen die Notstandsgesetze in der Krisenprovinz, für die Legalisierung von Cannabis und für das Verbot von Fotos nackter Frauen in Tageszeitungen eingesetzt – alles vergeblich. „Wenn man Frauenbrüste erwähnt, fangen 50 Tory-Abgeordnete an zu kichern“, sagte sie damals empört.

Inzwischen setzt sie sich in ihrem Job genauso vehement für die freie Marktwirtschaft in Afrika ein, was ihr von ehemaligen politischen Weggefährten als Heuchelei ausgelegt wird. Ihr Ziel ist es, die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, bis 2015 zu halbieren. Bis dahin soll auch jedes Kind einen Grundschulplatz und jede Mutter Zugang zur Gesundheitsversorgung haben. Short will „die Entwicklungshilfe vor denjenigen retten, die durch Fotos von afrikanischen Kindern mit Fliegen im Gesicht dazu veranlasst werden, Geld in die Sammelbüchse zu stecken, und dabei depressiv werden“. Stattdessen will sie „den Grund für das Leiden der Dritten Welt eliminieren“, indem die Afrikaner landwirtschaftliche Produkte für den Weltmarkt produzieren – von Kaffee bis hin zu Schnittblumen. Auf den Vorwurf von Kritikern wie der indischen Wissenschaftlerin Vandana Shiva, dass dadurch Ungleichheit und Umweltverschmutzung gefördert würden, antwortet Short: „Ich wette, sie hat Dinge aus der ganzen Welt auf ihrem organischen Bauernhof in Südindien. Wenn man Afrika und die Ärmsten in Südasien aus der Welt ausschließt, bleiben sie für immer marginalisiert und arm. Das kann ich nicht tolerieren.“

Short kam am 15. Februar 1946 in Birmingham auf die Welt. Sie ist das zweite von sieben Kindern nordirischer Emigranten. Ihr Vater arbeitete früher als Lehrer in der IRA-Hochburg Crossmaglen. Nach dem Abitur am Gymnasium St. Paul in Birmingham besuchte sie die Universitäten in Keele und Leeds, wo sie Politikwissenschaft studierte. Danach bekam sie eine Stelle als Privatsekretärin für den Konservativen Mark Carlisle im Innenministerium. 1983 wurde sie als Abgeordnete für Birmingham-Ladywood, wo sie aufgewachsen war, ins Innenministerium gewählt. Sie leitete dann für zwei Jahre den Ausschuss für Rassenbeziehungen. Seit 1988 sitzt sie im Vorstand der Labour Party. 1993 bis 1995 war sie Frauenministerin im Labour-Schattenkabinett, danach war sie ein Jahr lang für Transport und Umweltschutz zuständig, seit 1996 für Entwicklungshilfe.

1998 überwarf sie sich mit Hilfsorganisationen, weil sie behauptet hatte, dass die Sammelaktion für den Sudan völlig unnötig sei: Der Sudan brauche kein Geld. Eine der Organisationen, Oxfam, erklärte, Shorts Äußerungen seien ein Schlag ins Gesicht für die Spender – und das von einer Ministerin, deren Regierung die Entwicklungshilfe um ein Fünftel gekürzt habe. Andere warfen ihr vor, dass sie inzwischen eine Politik betreibe, derentwegen sie früher aus der Labour-Führungsriege zurückgetreten sei. Das war zweimal der Fall: einmal wegen der Haltung ihrer Partei zu den nordirischen Notstandsgesetzen, das andere Mal Anfang der 90er-Jahre wegen der Parteilinie im Golfkrieg. Ihre Tage in Blairs Kabinett sind wohl endgültig gezählt.

RALF SOTSCHECK