Keine Angst vor Veto-Folgen

Die Franzosen stehen fast geschlossen hinter dem US-kritischen Kurs ihres Präsidenten. US-Außenminister Powell droht für den Fall eines Vetos mit „schweren Folgen – zumindest kurzfristig“

PARIS taz ■ Die Drohungen aus Washington werden unverhohlener. Zur bislang extremsten Form der diplomatischen Eskalation griff Staatssekretär Colin Powell mit den Worten: „Ein französisches Veto im Weltsicherheitsrat wird schwere Folgen haben – zumindest kurzfristig.“ Der einflussreiche Pentagon-Berater Richard Perle fügte noch eine feinsinnige Unterscheidung der beiden großen westeuropäischen Kritiker des US-Kriegskurses hinzu: „Die Deutschen sind pazifistisch – aber die Franzosen wollen eine antiamerikanische Front.“

In Paris kam Powells Drohung nicht unerwartet. Bereits seit Wochen trommeln in den USA immer mehr republikanische Abgeordnete, unterstützt vom Sprecher des Repräsentantenhauses, Dennis Hastert, für den Boykott französischer Produkte. Auch von einem Boykott der internationalen Rüstungsmesse im Juni in Le Bourget ist bereits die Rede. Auch deshalb predigt Präsident Chirac – wann immer er über die „unterschiedliche Einschätzung“ der Irakkrise spricht –, dass die Freundschaft zwischen Frankreich und den USA unerschütterlich sei, dass die beiden Länder – vom Unabhängigkeitskrieg der USA bis zu den Weltkriegen – stets auf derselben Seite gestanden hätten und dass dies auch so bleiben werde.

Der französische EU-Handelskommissar Pascal Lamy hält allerdings Handelssanktionen aus zwei Gründen für „unwahrscheinlich“: Erstens sei die US-Wirtschaft „sehr offen“ und zweitens sei Europa ein „einiger Block“ – „wenn schon nicht in der Außenpolitik, dann zumindest auf dem Gebiet des Handels“. Da falle es schwer, Frankreich zu isolieren.

Auf der politischen Ebene muss Chirac nicht den geringsten Widerspruch gegen seine Irakpoltik befürchten. Fast das ganze Land unterstützt ihn. Die Franzosen scheinen sogar bereit, notfalls auch unangenehme Folgen eines Vetos in Kauf zu nehmen, zumal ihnen ihre Politiker versichern, ihre Irakpolitik werde ihnen „weltweit“ und besonders in der arabischen Welt neue Unterstützung bringen.

Viele Rechte erinnert die gegenwärtige internationale Lage an historische Konfrontationen zwischen Frankreich und den USA – wie der französische Austritt aus der militärischen Struktur der Nato im Jahr 1966. Im Unterschied zu jenen Hoch-Zeiten von General de Gaulle, als der Kalte Krieg Frankreich zum Alleingang zwang, weiß Paris heute mehrere gewichtige europäische Länder an seiner Seite, vor allem Deutschland.

Angesichts des Zögerns der „Unentschiedenen“ – der sechs afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Sicherheitsratsmitglieder, die jetzt von Paris, London und Washington bearbeitet werden – erschien gestern in Paris ein französisches Veto gegen einen Angriff auf Irak wahrscheinlicher denn je. Für den Abend kündigte Chirac ein Fernsehinterview an. Erstmals in seiner Amtszeit sollte es auf beiden großen Kanälen laufen – wie eine Ansprache an die ganze Nation. DOROTHEA HAHN