Wolfgang Roters, Geschäftsführer der Entwicklungsgesellschaft Zollverein
: Nachhaltigkeit statt künstlicher Beatmung

Im Sommer 2006 wird im Weltkulturerbe Zollverein die erste von regelmäßig wiederkehrenden Design-Weltausstellungen stattfinden, 101 Tag lang. Weltausstellungen sind ein Wagnis, kein Zweifel! Wer eine große internationale Ausstellung will, muss Mut haben. Aber Mut ist nicht die Eigenschaft, blindlings Risiken einzugehen, sondern ein großes Ziel zu verfolgen und die Risiken zu vermeiden. Alle Kraft muss daher jetzt darin gesetzt werden, zu definieren, was wir mit der Weltausstellung wollen und wie wir die Weichen so stellen, dass wir keine Risiken eingehen. Die Designweltausstellung ist alles andere als ein Ufo, das zufällig im Ruhrgebiet, auf Zollverein, für 101 Tage einfliegt und dann spurlos wieder verschwindet, ein teures Feuerwerk, dessen Rauchschwaden schnell verflogen sind. Wir wollen nachhaltige Spuren, wirtschaftliche und kulturelle hinterlassen; wir wollen nicht die wirtschaftlichen und finanziellen Risiken eingehen, die Weltausstellungen heute haben und wir wollen Zollverein in der Entwicklung voranbringen.

Zollverein ist kein alter Montanstandort, in den man quasi als Akt der künstlichen Beatmung Design und Designer aus Mailand, London oder New York importieren müsste, nein: Zollverein selbst ist ein stolzer Designstandort, der anderen, vielleicht der neuen Art, mit seiner imposanten baulichen Kulisse und vor allem mit der Kraft, in seinem Transformationsprozess selbst Designantworten für das 21. Jahrhundert zu geben, in der Auseinandersetzung zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit, zwischen Technik und Formensprache und zwischen Tradition und Modernität.

Zollverein selbst ist also der neue öffentliche Raum im Ruhrgebiet mit Designqualität, in seiner baulichen und landschaftlichen Gestalt. Wer künftig Zollverein besuchen wird oder hier spazieren geht, erlebt Design in Echtzeit und am echten Ort. Die Transformation des alten Montanraumes in einen munteren neuen Stadtteil, in dem gewohnt, gearbeitet, kurz gelebt wird, ist ein „Design“-Prozess. Nicht umsonst stehen für diesen Transformationsprozess drei große Architektur- und Designköpfe: Rem Koolhaas, Kazuyo Sejima und Henri Bava.

Was wir brauchen, ist in diesem 100 ha großen Gelände eine funktionierende Wertschöpfungskette Design: auf Zollverein Design produzieren, präsentieren, forschen, lehren, über Design experimentieren und Design verkaufen. Das gibt es nirgends auf der Welt. Das ist die Chance für Zollverein und für die Designweltausstellung auf Zollverein. Das ist der Kern der Weltausstellung.

Die Ausstellung 2006 wird der erste große internationale Auftritt des “neuen Zollverein“ sein. Das Weltkulturerbe, zugleich Zukunftsstandort, wird sich der internationalen Öffentlichkeit, vor allem aber den Menschen im Revier präsentieren. Der bauliche Transformationsprozess auf Zollverein wird dann weit fortgeschritten sein. Der Umbau der großartigen Kohlenwäsche, einem der imposantesten Ausstellungsräume in Europa, wird abgeschlossen sein; hier wie in anderen Ausstellungshallen auf Zollverein wird die Weltausstellung stattfinden und im Anschluss daran das neue Ruhrmuseum. Die Zollverein School of Management and Design wird in eines der technisch und architektonisch aufregendsten Gebäude einziehen können. Und schließlich wird der gesamte öffentliche Raum neu geordnet sein: Das Neben- und Gegeneinander von monumentalen bauhausorientierten Gebäuden mit Weltkulturerbeanspruch und einer Natur, die in einem ewigen Prozess dabei ist, sich zurückzuholen, was ihr einmal gehört hat – dieses Neben- und Gegeneinander ist die Grundmelodie des neuen postindustriellen urbanen public space.

Die Weltausstellung dient dem Strukturwandel im Ruhrgebiet; also muss es ihr Ziel sein, nachhaltige Arbeitsplätze in den kreativen Berufen, in Wissenschaft und Forschung und nicht zuletzt in einfachen Dienstleistungen (Hotel, Gastronomie und Tourismus) zu generieren. Kleine und mittlere Unternehmen im Ruhrgebiet müssen einen kräftigen Rückenwind bekommen. Wir werden mehr ein theoretisches Ausstellungskonzept entwickeln und uns dann auf die Suche nach Sponsoren begeben. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: die Entwicklungs- und Designinteressen der Unternehmen müssen aufgegriffen, zum Thema der Ausstellung gemacht werden. So und nicht anders ist die Bauhausbewegung entstanden: als konkrete Antwort auf konkrete Bedürfnisse der Verbraucher und der Wirtschaft.

Keiner schafft die Designweltausstellung allein! Die Ausstellung gelingt nur als Teamwork von Ingenieuren, Architekten, Designern, Landschaftsgestaltern, bildenden Künstlern und Handwerkern. Die Weltausstellung gelingt nur, wenn sie mehr ist als traditionelle Messen, wenn sie mehr ist als traditionelle Designausstellungen –auch davon gibt es genug, mehr ist als die Präsentation von Wettbewerbsergebnissen, mehr ist als theoretische Diskussionen über die Bedeutung von Design im 21. Jahrhundert. Es muss ein neues Format der Kommunikation über Design gefunden werden in der Nutzung aller verfügbaren Medien: Fernsehen, Radio, Publikationen, Internet usw., der Präsentation von innovativen Designentwicklungen in Unternehmen, das Zusammenführen von herausragenden Ingenieuren, Architekten, Designern und bildenden Künstlern und nicht zuletzt als Präsentation von Designsammlungen: Ein Plakatmuseum zum Beispiel.

Zollverein hat das Zeug dazu, neben seiner Bedeutung als Ikone einer vergangenen Industrieepoche im Revier auch zu einer Ikone für den unbändigen Zukunftswillen in der Region zu werden, als das Portal zum Ruhrgebiet, sein Leuchtturm. In diesem Zusammenhang könnte die Weltausstellung im Jahre 2006 eine identitätsstiftende Wirkung im Ruhrgebiet haben: Eintrittserlöse der Weltausstellung könnten für die Weiterentwicklung des Lebensstandortes Zollverein genutzt werden, für etwas, das die Menschen sich für Zollverein wünschen: Vielleicht ein Besucherbergwerk, vielleicht ein Plakatmuseum, vielleicht der Ausbau des Ruhrmuseums, vielleicht Angebote für die Bevölkerung der umliegenden Stadteile, vielleicht... Dann wäre die Weltausstellung da angekommen, wo sie hingehört, bei den Interessen der Menschen, der Unternehmen, der Identitätsfindung des Reviers und nicht zuletzt als Erlebnis- und Aneignungsraum für die Bevölkerung im Essener Norden. Und die Weltausstellung wäre eine Abstimmung mit den Füßen über den Zukunftswillen des Reviers.

Fotohinweis: Wofgang Roters, Seit dem 1.3.2002 Geschäftsführer der Entwicklungsgesellschaft auf Zollverein. Die IBA Emscherpark erneuerte Zollverein und entwickelte das Gelände zu einer Landmarke mit Design-Zentrum. Die Entwicklungsgesellschaft soll in den nächsten 10 Jahren mit rund 90 Millionen Euro Fördermitteln das Weltkulturerbe der UNESCO zu einem kulturellen und gewerblichen Zentrum im Ruhrgebiet ausbauen. Das größte Problem dabei sind die zu vielen unterschiedlichen Akteure mit eigenen Zielen auf dem Gelände. PEL